Während sich die Welt in den zwölf Weihnachtstagen in Festlichkeiten hüllt, ranken sich in Griechenland und Südosteuropa düstere Mythen um mysteriöse Wesen, die in den kalten Nächten an der Oberfläche dringen: die Kallikantzaroi.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou
Götter & Gelehrte – Diese gefürchteten Weihnachtskobolde, teils Totengeister, teils dämonische Satyrn, versetzen Menschen in Angst und Schrecken – eine uralte Tradition, die in Legenden, Aberglauben und Symbolik tief verwurzelt ist.
Die Kallikantzaroi sind ein grotesker Albumtraum der Mythologie. Mit roten Augen, Eberzähnen, Eselsfüßen und Affenarmen tragen sie Züge, die an eine Mischung aus Pan und Werwolf erinnern. Ob kahlköpfig, krummbeinig oder von groteskem Zwergen- oder Riesenwuchs – keine Gestalt gleicht der anderen. Doch in ihrer hässlichen Erscheinung und ihrer lüsternen, boshaften Natur sind sie vereint. Ihre Lieblingsbeschäftigung? Chaos stiften. Sie fahren durch Kamine, zerstreuen Asche, verderben Nahrung und belästigen Menschen – ein dämonischer Unfrieden, der in der Dunkelheit wütet.
Die Kallikantzaroi (griechisch καλικάντζαρος kalikántzaros, Mehrzahl καλικάντζαροι kalikántzaroi) sind nicht nur unberechenbare Plagegeister, sondern auch die apokalyptischen Arbeiter des Untergangs. Der Legende nach verbringen sie das Jahr in der Unterwelt, wo sie am Weltenbaum sägt, um das Ende der Welt herbeizuführen. Doch sobald Weihnachten naht, lassen sie ihre Werkzeuge fallen und steigen in die Oberwelt auf, getrieben von einem unersättlichen Hunger nach menschlichem Leid – und Süßigkeiten. Mit dem Epiphaniasfest am 6. Januar kehren sie zurück, doch bis dahin hat sich der Weltenbaum wundersam geheilt, und das graue Spiel beginnt von Neuem.
Die Menschen haben im Laufe der Jahrhunderte Wege gefunden, sich gegen die düsteren Besucher zu wehren. Häuser werden mit schwarzen Kreuzen gezeichnet, Weihrauch wird verbrannt, und die Dreieinigkeit wird angerufen, um die Kallikantzaroi fernzuhalten. Doch auch die Intelligenz der Kobolde ist begrenzt: Flachsstränge an Türen zwingen sie, die Fäden zu entwirren, bis die Sonne sie vertreibt. Ein anderer Brauch fordert, Würste oder Leckereien in den Schornstein zu hängen – ein Ablenkungsmanöver, das den Kobolden die Lust auf Chaos nimmt.
Die Kallikantzaroi sind ein Schmelztiegel aus vorchristlichen und christlichen Symbolen. Ihre Ähnlichkeit zu den Satyrn und Kentauren des Dionysoskults ist unverkennbar, doch auch die Parallelen zu Vampiren und Werwölfen der slawischen Folklore sind auffällig. Ihre dunklen Ursprünge, die auf Albträume und Wintermaskeraden zurückgeführt werden, zeigen die enge Verknüpfung von Mythos, Tradition und kultureller Entwicklung.
In einer Welt, die immer rationaler wird, sind die Kallikantzaroi ein Relikt aus einer Zeit, in der Geschichten und Aberglaube die Dunkelheit erklärten. Dennoch faszinieren diese grotesken Gestalten weiterhin – als Symbole für die unbändigen Kräfte des Chaos und die unzerstörbare Hoffnung auf die Rückkehr des Lichts. Mit jedem Hahnenschrei am Morgen des 6. Januars endet ihr Treiben, und die Welt kehrt zur Normalität zurück.
Doch bis dahin könnte ein Schatten über die Dächer huschen, eine Krallenhand durch den Rauchfang greifen – und der Tanz der Kallikantzaroi beginnt von Neuem. (mv)