„Fingerzeig gegen das Stigma“ – Kunst als Protest am Hippokratischen Krankenhaus von Thessaloniki

Mit einem monumentalen Kunstwerk an der Fassade des Hippokratischen Allgemeinkrankenhauses setzte der renommierte griechische Street-Art-Künstler INO im Frühjahr 2017 ein starkes Zeichen gegen soziale Ausgrenzung. Das Wandbild mit dem Titel „Stay Away“ entstand im Rahmen der Aufklärungskampagne „Der Ausdruck von Gesundheit durch Kunst“, initiiert von der griechischen Leberpatientenvereinigung „Prometheus“.
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos

Kunst & Kultur – Ziel des Projekts ist es, die weit verbreitete soziale Stigmatisierung von Menschen mit Hepatitis C zu thematisieren und aufzulösen. Die Krankheit, die in vielen Fällen symptomlos verläuft, betrifft in Griechenland schätzungsweise 130.000 bis 160.000 Menschen – doch nur rund 20 Prozent wissen von ihrer Infektion.

Das Werk „Stay Away“ zeigt eine dramatische Szene: Eine überdimensionale Hand deutet abweisend nach unten – ein visueller Ausdruck von Ablehnung. Darunter kauert eine menschliche Figur, offenbar betroffen und isoliert. Die Symbolik ist unmissverständlich: Sie spricht von Ausgrenzung, Verurteilung und der psychischen Last, die Betroffene sozialer Stigmatisierung tragen.

Diese visuelle Anklage richtet sich gegen ein tief verankertes gesellschaftliches Problem: die Abwertung und Isolation von Menschen, die als „anders“ wahrgenommen werden, nicht aufgrund persönlicher Entscheidungen, sondern wegen gesundheitlicher oder sozialer Umstände. Der Soziologe Erving Goffman beschrieb 1963 dieses Phänomen als „eine dem Individuum zugeschriebene, diffamierende Eigenschaft, die ihm das Recht auf volle gesellschaftliche Anerkennung nimmt“.

Der öffentliche Raum wird hier zum Ort des Protests – und der Hoffnung. Street Art, als niederschwellige und gleichzeitig mächtige Form des Ausdrucks, eignet sich ideal, um gesellschaftliche Missstände sichtbar zu machen und Diskussionen anzustoßen. INO gelingt es mit seiner charakteristischen, monochromen Ästhetik, die Aufmerksamkeit der Passant:innen zu fesseln und zum Nachdenken zu bewegen.

Mit der zweiten Phase der Kampagne richtete sich „Prometheus“ nun gezielt gegen die soziale Stigmatisierung von Menschen mit Hepatitis C. Während der erste Teil das Bewusstsein für Diagnostik und Behandlung stärken sollte, stand nun der Mensch hinter der Diagnose im Fokus.

„Stay Away“ ist nicht nur ein Kunstwerk – es ist ein Appell an Empathie, Wissen und gesellschaftliche Verantwortung. Denn Hepatitis C wird nicht durch alltägliche soziale Kontakte übertragen – sehr wohl aber werden die Betroffenen durch Unwissenheit und Vorurteile gesellschaftlich isoliert.

Mit Projekten wie diesem bricht Kunst das Schweigen. Sie erzählt Geschichten, die sonst ungehört bleiben – und zeigt: Gesundheit betrifft uns alle, und Stigmatisierung darf keinen Platz in einer solidarischen Gesellschaft haben. (jk)

Foto: Hellas-Bote