Nach Zittern und Zählen: Merz steigt im zweiten Versuch an die Macht

Friedrich Merz hat es geschafft: Der CDU-Vorsitzende wurde im zweiten Wahlgang zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der Weg dorthin war ungewöhnlich steinig – und politisch aufschlussreich.
Von HB-Redakteur Dietmar Thelen

Magazin – Mit 325 Stimmen sicherte sich Merz am Dienstag die notwendige Mehrheit im Bundestag – neun mehr als erforderlich. Die Koalition aus CDU/CSU und SPD, die gemeinsam über 328 Mandate verfügt, hatte nach dem überraschenden Scheitern im ersten Durchgang merklich mobilisiert. Dass es im ersten Versuch nicht reichte, wirft ein Schlaglicht auf interne Spannungen – und auf das knappe Machtgefüge in der neuen Regierung. „Ich nehme die Wahl an und danke für das Vertrauen“, erklärte Merz knapp, aber bestimmt, nachdem Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Ergebnis verkündet hatte. Die Erleichterung war ihm anzusehen – ebenso wie die Ernsthaftigkeit des Amts, das nun auf ihm lastet.

Noch nie zuvor war ein Kanzlerkandidat mit gefestigter Koalition bei der entscheidenden Abstimmung durchgefallen. Der Fehlstart am Morgen hatte für Unruhe gesorgt – nicht nur im Regierungsbündnis, sondern auch international. Partner in der EU und darüber hinaus blickten gespannt auf Berlin, wo ein Regierungswechsel lange überfällig schien, aber nicht ohne Stolpersteine verlief. Ein halbes Jahr nach dem Ende der Ampelkoalition markiert Merz Wahl nun den Beginn einer neuen politischen Ära. Die formale Ernennung durch Bundespräsident Steinmeier im Schloss Bellevue und der Amtseid im Bundestag folgen noch am selben Tag.

Die neue Bundesregierung umfasst 18 Ministerien – paritätisch besetzt zwischen Männern und Frauen. CDU und SPD besetzen je sieben Ressorts, die CSU drei. Besonders im Fokus: Lars Klingbeil, künftiger Finanzminister und Vizekanzler. Das Verhältnis zwischen ihm und Merz wird mit darüber entscheiden, wie stabil und handlungsfähig diese Regierung sein kann.

Im Inland warten große Aufgaben: Die wirtschaftliche Erholung nach einer langen Phase der Stagnation, die Reform des Bildungssystems und ein neuer Kurs in der Migrationspolitik. Schon am Mittwoch sollen erste Maßnahmen in Kraft treten – unter anderem eine Verschärfung der Grenzkontrollen. Auch außenpolitisch will Merz Akzente setzen: Antrittsbesuche in Frankreich und Polen stehen unmittelbar bevor. Während mit Emmanuel Macron über europäische Industriepolitik gesprochen werden soll, dürfte das Treffen mit Donald Tusk von Konfliktpotenzial geprägt sein – die deutsche Haltung zu Grenzsicherung stößt in Warschau auf Kritik.

Friedrich Merz, einst politisch abgeschrieben, ist an der Spitze der deutschen Politik angekommen. Sein Aufstieg war kein geradliniger. Nun liegt es an ihm zu zeigen, ob er mehr ist als nur ein erfahrener Oppositionspolitiker – ob er führen, gestalten und einen kann. Die Bewährungsprobe beginnt jetzt. (dt)

Foto: Tobias Koch