Die jüngste Geisternetzbergung der Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V. (GRD) vor Rügen übertraf alle vorherigen Einsätze der Delfin- und Meeresschutzorganisation vor Rügen – sowohl in puncto Strategie als auch seitens der Durchführung, der Anspannung und schließlich des Ergebnisses: 1,4 Tonnen an gefährlichen Fischernetzen konnten durch den unermüdlichen Einsatz von 14 ehrenamtlichen Taucher:innen in einer zweitägigen Aktion unschädlich gemacht werden.
Magazin – Der GRD-Vorsitzende Sigmar Solbach ist begeistert über das leidenschaftliche Engagement aller Beteiligten der „FÜR MEER LEBEN“-Kampagne, die sich dem Schutz der faszinierenden marinen Artenvielfalt in der Ostsee widmet.
Eine bis dato einzigartige Bergung von Geisternetzen
„Diese Aktion war wirklich der Höhepunkt“ – mit diesen Worten fasste GRD-Projektpartner Wolfgang Frank die erfolgreiche Geisternetzbergung am 7. und 8. Juni 2024 zusammen. Niemand kann dies besser beurteilen als der Geisternetz-Experte aus Prora, der bei zahlreichen Bergungsaktionen vor Rügen riesige Mengen an Geisternetzen, Fischreusen und anderem Unrat aus der Ostsee geborgen und unschädlich gemacht hat. Allein in Zusammenarbeit mit der GRD wurden in vier Jahren jetzt über elf Tonnen an Netzen und Netzteilen zusammengetragen.
Der Grund für die Hervorhebung des jüngsten Einsatzes liegt in der besonderen Konstellation: Das Objekt, über das sich im Laufe von Jahren und Jahrzehnten mehrere Tonnen herrenlosen Fischfanggeräts angesammelt hatten, war eine gesunkene Fahrwassertonne, etwa acht Kilometer östlich vom Rügener Königsstuhl entfernt. Bereits im vergangenen Jahr arbeiteten die Taucher:innen in drei Anläufen an der in 30 Metern Tiefe liegenden „Sassnitz-Tonne“ und konnten zwischen August und November mehrere hundert Kilogramm an Netzen unschädlich machen. Die beengte Situation an der Fahrwassertonne, die unterschiedlichen Materialien (Netze, Tampen, Ketten, Seile), die Dekompressionszeiten und die stark verhedderten Schleppnetze verhinderten jedoch bis dato eine vollständige Bergung.
Strategische Neuausrichtung
Eine völlig neue Herangehensweise war erforderlich, um die Meereslebewesen in der Ostsee dauerhaft von der Bedrohung durch das riesige Geisternetzknäuel zu befreien. In ihren Planungen kamen Wolfgang Frank und die Taucher:innen zu dem Ergebnis, die Tonne anzuliften, in Schwimmlage zu bringen und anschließend mit einem Kutter unter Land auf 17 Meter Wassertiefe zu schleppen. Anschließend galt es, die Geisternetze in einem neuerlichen Versuch abzubergen. Diese Strategie beruhte auf der Berechnung, dass die gesunkene Hochseetonne zusammen mit den darauf liegenden Netzen, Seilen und Ketten ein Gewicht von 7,5 Tonnen aufwies. Durch den Einsatz mehrerer Hebesäcke musste daher eine Auftriebskraft von mindestens acht Tonnen erzeugt werden, hinzugerechnet wurde die vom Begleitschiff ausgelöste Zugkraft.
Auf die Planung folgte am 7. Juni die Umsetzung in der Praxis und schließlich der alles entscheidende Moment: Werden sich Fahrwassertonne und Netzmaterial vom Meeresboden lösen, sobald das am Schiff fixierte Seil aufgetrommelt wird? Die Berechnungen erwiesen sich als korrekt, die Tonne setze sich in Bewegung und die Anspannung aller an der Aktion Beteiligten nahm innerhalb von Sekunden spürbar ab. Im nächsten Schritt schleppte Kapitän Kay Briesewitz die ehemalige Fahrwassertonne Richtung Kreidefelsen und legte sie auf einer Tiefe von 17 Metern ab. Ihre neue Position befindet sich in direkter Nähe des Wracks „Amazone“, dessen Position in den Seekarten vermerkt ist und daher von den Schleppnetzfischern gemieden wird.
Durch den Transport hatte sich die Verwicklung der Netze etwas gelöst, dennoch mussten alle 14 Taucher:innen am Folgetag – dem Welttag der Ozeane – Schwerstarbeit leisten, um die Bergung des ehemaligen Fischereigeräts vorzubereiten. Nach viereinhalb Stunden war es schließlich vollbracht: Das gesamte Netzmaterial mit einem Gewicht von 1,4 Tonnen wurde an Bord des Begleitschiffs „Christin-Bettina“ aufgerollt und anschließend im Hafen von Sassnitz gelöscht. Es wird jetzt dahingehend geprüft, ob sich einige Netzteile für ein Upcycling, beispielsweise zu Arm- oder Fußbändchen, eignen.
Ein Kettenglied greift ins andere
Diese bedeutende Geisternetzbergung vor Rügen war nur durch das perfekte Zusammenspiel aller Beteiligten möglich. „Das Team hat hervorragende Arbeit geleistet“, sagte Wolfgang Frank nach Abschluss der Bergungsarbeiten. Auch der GRD-Vorsitzende Sigmar Solbach lobte das außergewöhnliche Teamplay: „Erneut haben wir Großes erreicht! Dank des Einsatzes unserer mutigen Taucher:innen konnten hunderte Kilogramm Geisternetze, die die marine Artenvielfalt in der Ostsee gefährden, unschädlich gemacht werden.“ Die GRD zeigt sich auch dankbar für die Unterstützung der lokalen Fischerei. So beteiligte sich das Unternehmen „Kutterfisch“ aus Sassnitz einmal mehr an einer Bergungsmission. Ohne die Technik eines solchen Begleitschiffes wäre die Bergung der Fischerei-Altlasten in dieser Form kaum realisierbar. Und auch die großzügige Unterstützung durch die Deutsche Postcode Lotterie sowie durch alle Unterstützer:innen des GRD-Projekts „Geisternetzbergungen rund um Rügen“ sind für den Erfolg unabdingbar.
DIWA-Auszeichnung für Wolfgang Frank: „Ghostnet Diving Instructor“
Am Abend des 8. Juni wurde dem GRD-Projektpartner Wolfgang Frank eine große Auszeichnung zu Teil: Die DIWA, eine internationale Organisation für die professionelle Ausbildung von Tauchlehrern, zeichnete ihn als ersten „Ghostnet Diving Instructor“ in Deutschland aus. Diese Auszeichnung stellt eine hohe Anerkennung seiner Bemühungen um den Meeresschutz und den Erhalt der Artenvielfalt dar. Robert Röske (Dive Baltic Seas Rügen), der die GRD bei nahezu jeder Bergung von Geisternetzen leidenschaftlich unterstützt, erhielt die Auszeichnung als „Ghostnet Diver Instructor“ ebenfalls. Darüber hinaus haben die an den Bergungen beteiligten Taucher:innen die Möglichkeit, das DIWA-Tauchabzeichen (Brevet) „GhostNet Diving“ zu erwerben. Die GRD schätzt es außerordentlich, dass das Engagement der ehrenamtlichen Taucher:innen zum Schutz der Ostsee und ihrer Bewohner von einer der ältesten Tauchorganisationen auf diese Weise anerkannt wird. (opm)