Blühende Traditionen und der Kampf der Jahreszeiten: Der 1. Mai in Griechenland

Wenn der Mai beginnt, erhebt sich Griechenland in einem bunten Fest aus Blüten, Mythen und Symbolik. Während der 1. Mai in vielen Ländern als internationaler Tag der Arbeit begangen wird, verbindet Griechenland diese moderne Bedeutung mit einem uralten Brauchtum, das bis in die Antike zurückreicht.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou

Aktuell – Unter dem Namen „Protomagia“ (griechisch: Πρωτομαγιά) feiern die Menschen den Übergang von der winterlichen Starre zur lebendigen Blüte des Sommers. Es ist ein Tag, an dem Demonstrationen auf den Straßen der Großstädte mit ländlichen Traditionen verschmelzen, an dem Blumenkränze nicht nur Dekoration, sondern auch ein Bekenntnis zur Natur und zur Wiedergeburt sind.

Schon in der Antike war der Mai eng mit der Fruchtbarkeitsgöttin Maia verbunden, deren Name dem Monat selbst seinen Klang verlieh. Die Griechen glaubten, dass Maia die Natur aus ihrem Winterschlaf erweckte und die Wiesen mit Leben erfüllte. Aus dieser Vorstellung heraus entstand der Brauch, am 1. Mai Blumen zu sammeln und Kränze zu flechten, die bis zum 24. Juni die Haustüren schmücken. Zum Fest des Heiligen Johannes, wenn die Sommersonnenwende naht, werden sie in den „Johannisfeuern“ verbrannt, um Glück und Fruchtbarkeit zu erneuern.

Während die Stadtbewohner heute oft fertige Kränze auf den Märkten kaufen, ziehen die Menschen auf dem Land noch immer hinaus in die Wiesen, um selbst Wildblumen zu pflücken. Besonders begehrt sind bunte Margeriten, duftende Jasminblüten und leuchtend rote Mohnblumen. Jedes Haus schmückt seinen Eingang mit einem „Stefana“, dem traditionellen Blumenkranz, der Glück und Schutz bringen soll.

Doch der 1. Mai symbolisiert nicht nur die Freude des Neubeginns, sondern auch den beständigen Konflikt zwischen den Jahreszeiten. In der griechischen Mythologie verkörpern die Monate nicht nur den Verlauf des Kalenders, sondern auch den ewigen Kampf zwischen Kälte und Wärme, Winter und Sommer. Persephone, die Tochter der Erdgöttin Demeter, steigt in diesen Tagen aus der Unterwelt empor, um die Erde mit ihrer Gegenwart zum Blühen zu bringen. Die Griechen feiern damit nicht nur den Frühling, sondern auch den Sieg des Lebens über den Tod.

Neben den Blumenkränzen gibt es in verschiedenen Regionen Griechenlands weitere Bräuche, die tief in alten Traditionen verwurzelt sind. Auf Korfu beispielsweise trägt eine Prozession junger Männer einen geschmückten Zypressenstamm, das „Maioksilo“, durch die Dörfer. In weißer Kleidung und mit roten Schals singen sie Loblieder auf den neuen Monat.

In anderen Gegenden springen Kinder über Feuerscheite, um sich symbolisch von den Resten des Winters und jeglicher Krankheit zu befreien. Frauen in traditionellen Trachten tanzen um das Feuer, während sie alte Lieder anstimmen. Der Rauch, so glaubt man, soll Glück und Wohlstand für das kommende Jahr bringen.

Ein besonders mystischer Brauch wird auf den ägäischen Inseln bewahrt: das Ritual des „unausgesprochenen Wassers“. Junge Mädchen brechen bei Sonnenaufgang auf, um aus einem Brunnen frisches Wasser zu holen. Sie dürfen dabei nicht sprechen, bis sie das Wasser nach Hause gebracht haben. Anschließend waschen sich die Familien mit diesem Wasser, um Glück und Segen zu empfangen.

Während Demonstrationen für bessere Arbeitsbedingungen in den Städten ein wichtiger Bestandteil des 1. Mai geblieben sind, lebt in den Dörfern die uralte Verbindung zwischen Mensch und Natur fort. In Griechenland ist der 1. Mai mehr als ein Tag der Arbeit – er ist ein Fest des Lebens, ein Erbe der Antike und eine Hommage an die wiederkehrende Blüte der Welt. Inmitten der politischen Kundgebungen und festlichen Picknicks erinnern sich die Griechen jedes Jahr aufs Neue daran, dass der Frühling nicht nur ein meteorologisches Ereignis ist, sondern ein uraltes Versprechen der Natur: Die Wiedergeburt nach jedem Winter, das Gute, das stets über das Schlechte triumphiert. (mv)

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