Im Schatten des Acheron: Das Geheimnis des Nekromanteions

In den sanften Hügeln von Epirus, unweit der antiken Stadt Ephyra, verbirgt sich ein Ort, der seit Jahrtausenden die Menschheit fasziniert: das Nekromanteion, das sagenumwobene Totenorakel Griechenlands. Hier, am Ufer des mystischen Flusses Acheron, suchten Pilger einst den Kontakt zu den Seelen der Verstorbenen, um Rat und Weisheit aus dem Jenseits zu empfangen.
Von HB-Redakteurin Soula Dimitriou

Geschichte/Reisen – Der griechische Historiker Herodot berichtet von Periander, dem Tyrannen von Korinth, der Gesandte entsandte, um im Nekromanteion mit seiner verstorbenen Gattin Melissa zu kommunizieren. Dieses Orakel, einzigartig in seiner Art, bot den Lebenden eine Brücke zur Unterwelt und versprach Antworten auf die drängendsten Fragen des Lebens.

Die genaue Lage des Nekromanteions blieb lange im Verborgenen, bis der griechische Archäologe Sotiris Dakaris 1958 bei Ausgrabungen in Ephyra auf eine bemerkenswerte Anlage stieß. Unter den Überresten einer im 18. Jahrhundert erbauten Kirche entdeckte Dakaris massive Mauern, die einen 22 Quadratmeter großen unterirdischen Raum umschlossen. Diese Strukturen, ergänzt durch Funde wie Tonstatuetten der Persephone aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., führen Dakaris zu der Annahme, das legendäre Totenorakel irgendwann zu haben.

Nach Dakaris Interpretation bestand die Orakelstätte aus einem robusten Bauwerk mit dicken Mauern. Der Eingang im Norden führte zu einem Vorhof mit Räumen für Priester und Ratsuchende. Ein größerer Saal diente der Vorbereitung der Pilger und dem Kult der Unterweltgötter. Ein labyrinthartiger Korridor, gesichert durch schwere Bronzetüren, leitete schließlich zum eigentlichen Kultraum, wo die Kommunikation mit den Toten stattfand.

Doch diese Deutung wurde nicht unumstritten akzeptiert. Bereits 1980 behauptete der Archäologe Dietwulf Baatz Zweifel und vermutete, es handle sich eher um einen befestigten Adelssitz aus hellenistischer Zeit. In den 1990er Jahren unterstützte ein amerikanisches Archäologenteam diese Sichtweise, indem es die Anlage als großes, befestigtes Gut identifizierte. Sie argumentierten, dass die hellenistischen Mauern zeitlich nicht mit den literarischen Erwähnungen des Orakels übereinstimmen. Dennoch bleibt die Möglichkeit bestehen, dass ältere Strukturen unter den sichtbaren Überresten verborgen liegen. Heute zieht das Nekromanteion zahlreiche Besucher an, die die Faszination dieses Ortes spüren möchten. (sd)

Der von Sotiris Dakaris als Standort des Nekromanteion identifizierte Platz bei Ephyra – Foto: ΙΠΠΟΚΡΑΤΗΣ, CC BY-SA 4.0, wikimedia.org

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