In der weiten Ebene zwischen den Flüssen Agri und Sinni, unweit der heutigen Stadt Policoro in der süditalienischen Region Basilikata, verbirgt sich ein stilles Zeugnis der griechischen Welt: Herakleia – oder Heraclea in lateinischer Form – eine einst blühende Kolonie der Griechen in Lukanien. Wer heute durch die stillen Ruinen des archäologischen Parks wandelt, kann den Hauch jener Epoche spüren, in der Hellenen den Süden Italiens prägten wie kaum eine andere Kultur.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Reisen – Gegründet im Jahr 432 v. Chr. von Tarent und Thurii, war Herakleia eine von vielen griechischen Pflanzungen, die das Gesicht der Magna Graecia formten. Doch nicht als bloßer Außenposten, sondern als politisches Zentrum von Bedeutung trat Herakleia in die Geschichte ein. Hier traf sich der Italiotische Bund – eine Versammlung der Griechen auf italienischem Boden – ein Symbol der kulturellen und politischen Einheit hellenistischer Städte in einer zunehmend römisch dominierten Welt.
Ein Meilenstein griechischer Militärgeschichte war die berühmte Schlacht von Herakleia im Jahr 280 v. Chr., als König Pyrrhus von Epirus, der mythische Heldengestalt mit Alexanderzug, dem römischen Konsul Publius Valerius Laevinus eine der ersten empfindlichen Niederlagen beibrachte. Der Fluss Siris wurde zum Schauplatz eines Sieges, der jedoch bald als „Pyrrhussieg“ in die Geschichte eingehen sollte – glanzvoll, aber teuer.
Auch in römischer Zeit blieb Herakleia ein Ort mit griechischer Seele. Cicero beschreibt die Stadt als kultiviert und wohlhabend, ein Spiegel des griechischen Bildungsideals auf italischem Boden. Der Vertrag mit Rom brachte Vorteile, aber auch Identitätskonflikte – das römische Bürgerrecht wurde nur zögerlich angenommen. Die Doppelidentität als griechische Stadt unter römischer Herrschaft ist auf zwei bedeutenden Bronzetafeln festgehalten, auf deren Rückseite noch griechische Inschriften die Grenzen der Tempel beschreiben – ein wertvolles Zeugnis der kulturellen Kontinuität.
Heute zeugt das Museo archeologico nazionale della Siritide von diesem reichen Erbe. Originalfunde, kunstvoll bemalte Vasen und Alltagsgegenstände erzählen von einer Zeit, als Griechenland nicht nur eine geographische, sondern vor allem eine geistige Welt war, die auch in Süditalien weiterlebte. Die Ruinen von Herakleia mögen heute still sein – doch wer zuhört, hört in ihnen die leise Stimme Hellas: von Demokratie, Dichtung und dem ewigen Streben nach Schönheit und Wissen. (sk)

