Das Rätsel der Dorischen Wanderung: Mythos oder historische Realität?

Die sogenannte Dorische Wanderung beschreibt die mutmaßliche Migration des griechischen Stammes der Dorer, die vom dalmatischen Raum außerhalb über Mittelgriechenland bis auf die Peloponnes vorgedrungen sein sollen. Diese Bewegung wird traditionell mit dem Ende der mykenischen Kultur um 1200 v. Chr. in Verbindung gebracht.
Von HB-Redakteurin Soula Dimitriou

Geschichte – Der Überlieferung zufolge scheiterte zunächst ein Versuch der Dorer, über den Isthmus von Korinth in die Peloponnes einzudringen. Daraufhin sollen sie gemeinsam mit den Äoliern den Golf von Korinth überquert haben, angeführt von den Nachkommen des Herakles. Diese Rückkehr der Herakliden führte zur Eroberung bedeutender Regionen wie Argolis, Lakonien und Messenien. Die eroberten Gebiete wurden unter den drei Heraklidenbrüdern Aristodemos, Kresphontes und Temenos aufgeteilt, während einige Landstriche wie Elis, Arkadien und Achaia den ursprünglichen Bewohnern überlassen wurden.

Lange Zeit ging die Forschung davon aus, dass die Dorer durch ihre militärische Überlegenheit die offiziellen Einwohner der Peloponnes verdrängten oder unterwarfen. Sie sollen sich nicht nur auf dem griechischen Festland, sondern auch durch Koloniegründungen auf Inseln wie Kreta sowie an der Westküste Kleinasiens ausgebreitet haben. Dieser Vordringen wurde oft mit den sogenannten Seevölkerinvasionen in Verbindung gebracht, die den gesamten östlichen Mittelmeerraum betrafen.

In den letzten Jahrzehnten hat jedoch ein Umdenken in der Fachwissenschaft stattgefunden. Basierend auf archäologischen Funden wird die Theorie einer groß angelegten dorischen Einwanderung um 1200 v. Chr. zunehmend infrage gestellt. Stattdessen tendiert die Forschung dazu, die Dorische Wanderung als einen später entstandenen Gründungsmythos zu betrachten, der historische Ereignisse retrospektiv erklären sollte. Demnach könnten kulturelle Veränderungen weniger auf massive Migrationen als vielmehr auf interne Entwicklungen und soziale Umbrüche zurückzuführen sein.

Die Dorische Wanderung bleibt somit ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Mythen und historische Realität miteinander verwoben sind und wie moderne Forschung traditionelle Annahmen hinterfragt, um ein genaues Bild der Vergangenheit zu zeichnen. (sd)

Die hypothetische Wanderungsbewegungen der Dorer aus Herbert George Wells „The Outline of History“ (1920). Mit dem Pfeil zur Herkunft der Illyrer (oben links) wird der Einfluss von Karl Otfried Müller sichtbar. Foto: Von H. G. Wells – Wells, H. G. (1920). The Outline of History. Garden City, New York: Garden City Publishing Co., Inc.., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2212008

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