Wo Hellas Wurzeln schlägt: Das zweite Leben der Griechen in Thurioi

Cassano allo Ionio/Kalabrien – Wo heute Olivenbäume im heißen Wind der ionischen Küste rauschen, schlummert unter der Erde das Echo einer verlorenen Welt: Thurioi, einst stolze Polis der Magna Graecia, zeugt noch immer vom kulturellen Glanz, den Griechenland in die Ferne trug. Nur wenige Kilometer vom einst mächtigen Sybaris entfernt, atmet das archäologische Gelände südlich von Terranova di Sibari noch immer den Geist hellenischer Geistigkeit.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Reisen – Was als Zuflucht sybaritischer Flüchtlinge begann, wurde bald zur politischen und kulturellen Vision Athens: 443 v. Chr. schickte Perikles eine Gruppe auserwählter Kolonisten – Philosophen, Dichter, Bauern, Handwerker – unter der Führung von Lampon und Xenokritos nach Italien, um nicht nur eine Stadt, sondern eine Idee neu zu erschaffen. Unter ihnen: kein Geringerer als Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“, und der Redner Lysias.

Thurioi war mehr als eine Kolonie – es war ein griechisches Projekt in der Ferne, mit einer von Protagoras entworfenen demokratischen Verfassung und einem Stadtplan des visionären Hippodamos von Milet. Der Stier, Symbol sowohl der alten Sybariten als auch der neuen Thurier, prägte die Münzen – ein stolzes Zeichen für wirtschaftliche Kraft und kulturelle Kontinuität.

Die Stadt florierte – und kämpfte: gegen Kroton, gegen die Lukanier, gegen die Vergessenheit. Selbst als römische Garnison blieb ein Funke Hellenismus lebendig. In den Umbrüchen der Punischen Kriege, in der Belagerung durch Sextus Pompeius, im Schatten des Spartacus-Aufstands: Die Stadt überlebte, verlor sich aber schließlich im Strom der Geschichte.

Heute lädt ein archäologischer Park in der Gemeinde Cassano allo Ionio zur Spurensuche ein. In Mosaiken, Mauern und Münzen lebt die Erinnerung an die griechischen Wurzeln Kalabriens fort – ein Erbe, das mehr als zwei Jahrtausende überdauerte und noch heute Besucher in seinen Bann zieht. Denn Thurioi ist nicht nur Geschichte – es ist Griechenlands Stimme im Wind Süditaliens. (sk)

Archäologischer Park – Foto: Peter Stewart – Flickr: IMG_1925.jpg, CC BY-SA 2.0, wikimedia.org