Wo die Saiten der Antike weiterklingen – Das Athener Konservatorium als klingendes Erbe griechischer Geschichte

Im Herzen der griechischen Hauptstadt, zwischen marmorner Vergangenheit und pulsierender Gegenwart, erhebt sich eine Institution, die so viel mehr ist als ein Ort musikalischer Ausbildung: das Athener Konservatorium (Ωδείον Αθηνών).
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Kunst & Kultur – Gegründet im Jahre 1871 unter Premierminister Alexandros Koumoundouros, ist es die älteste Musik- und Theaterhochschule des modernen Griechenlands – ein klangvoller Zeuge der kulturellen Renaissance eines Volkes, das sich nach Jahrhunderten osmanischer Fremdherrschaft in seine eigene Identität zurückzusingen begann.

Die Vision war groß: Während andere europäische Staaten längst ihre musikalischen Akademien etabliert hatten, wagte Griechenland mit dem Athener Konservatorium einen einzigartigen Weg. Der ursprüngliche Fokus auf die Musik der Antike war ein bewusster Rückgriff auf das uralte kulturelle Erbe des Landes – eine Wiederbelebung jenes Tons, der einst die Theater von Epidaurus erfüllte und die philosophischen Gedanken der Platoniker begleitete. Erst ab 1881 öffnete man sich dem klassischen Instrumentalunterricht nach europäischem Vorbild, wobei sich auch hier die Spuren griechischer Identität tief in das Fundament des Hauses einprägten.

Zunächst blieben jedoch einige westliche Einflüsse außen vor. Das Klavier, Sinnbild bürgerlicher Musikkultur des 19. Jahrhunderts, war in der Anfangszeit am Konservatorium nicht erwünscht. Stattdessen prägten die Komponisten der Ionischen Schule – mit ihrer italienischen Ausbildung – das Klangbild, allen voran Spyridon Xyndas, der auch als einer der ersten Lehrer des Instituts wirkte. Mit dieser musikalischen Prägung durch die Ionischen Inseln schwang nicht nur die Melodik Italiens mit, sondern auch die Erinnerung an die Zeit, als die Ionischen Inseln (bis 1864 unter britischer Protektion) ein eigenes griechischsprachiges Musikleben entwickelten.

Einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte des Konservatoriums markierte die Ära des Direktors Georgios Nazos. Zwischen 1890 und 1934 – mit einer kurzen Unterbrechung – formte er das Institut nach dem Vorbild der deutschen Spätromantik. Als Schüler von Josef Gabriel Rheinberger und Ludwig Thuille in München war er durchdrungen vom Geist deutscher Musikkultur, der Disziplin und Tiefe. Diese Prägung übertrug er auf das Athener Konservatorium – mit dem erklärten Ziel, eine eigene griechische Nationalmusik zu schaffen, die sich von westlich-französischen oder italienischen Stilen abgrenzte. Unter seiner Leitung begann die bewusste Verortung der griechischen Kunstmusik in einem europäischen Kontext, ohne jedoch den Bezug zur eigenen Geschichte zu verlieren.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Nazos auch der Erforschung und Bewahrung der griechischen Volksmusik. 1903 gründete er die Fakultät für Byzantinische Musik, die später zur offiziellen staatlichen Schule für Kirchenmusik avancierte – ein weiterer Beleg für den Versuch, das kulturelle Gedächtnis der byzantinischen und orthodoxen Tradition in die Moderne zu übertragen. Dieses Engagement für das musikalische Erbe Griechenlands macht das Konservatorium bis heute zu einem einzigartigen Ort zwischen Dokumentation, Innovation und kultureller Bewahrung.

Das Jahr 1915 markierte einen ersten Höhepunkt der Institution: Mit 50 Professoren und 814 Studierenden stand das Konservatorium auf einem Zenit seiner Entwicklung. In jenen Jahren entstand auch das Orchester unter der Leitung von Armand Marsick, aus dem später das Nationalorchester Griechenlands hervorging. Doch der Weg war nicht frei von Spannungen.

Nach 1920 begannen sich interne Konflikte zuzuspitzen. Die musikalische Ausrichtung, allzu sehr an deutschen Idealen orientiert, wurde ebenso kritisiert wie die fehlende soziale Durchlässigkeit des Hauses. Bedeutende Musiker wie Manolis Kalomiris, Dionysios Lavrangas und Spyros Samaras wandten sich ab. Kalomiris gründete 1926 das Griechische Konservatorium – ein reformorientiertes Gegengewicht zur konservativen Linie von Nazos, dessen Rücktritt 1924 die erste große Zäsur der Institution einleitete.

Auch internationale Einflüsse fanden nach und nach ihren Weg in die heiligen Hallen des Hauses. Der österreichische Komponist Felix Petyrek wurde 1926 durch Vermittlung des Flötenprofessors Martin Braunwieser an das Konservatorium berufen und leitete bis 1930 eine Klavierklasse. Diese Episode steht exemplarisch für die langsame Öffnung gegenüber einer musikalischen Moderne, die lange Zeit vom spätromantischen Übergewicht überwölbt wurde.

Noch heute, im 21. Jahrhundert, ruht das Konservatorium auf einer geschichtsträchtigen Grundlage – architektonisch verankert in dem ikonischen Gebäude von Ioannis Despotopoulos, das aktuell einer umfassenden Sanierung unterzogen wird. Und doch lebt es weiter: nicht nur als Ausbildungsstätte, sondern als Denkmal einer musikalischen Reise, die von den Gesängen antiker Aulos-Spieler bis zu den strengen Harmonielehren Münchener Romantiker reicht. Ein Ort, an dem Griechenland nicht nur zu sich selbst findet, sondern auch seine Stimme erhebt – seit über 150 Jahren, in Dur und Moll, in Melodie und Geist. (sk)

Foto: StrangeTraveler, CC BY-SA 4.0, wikimedia.org