Im blauen Licht des ägäischen Sommers des Jahres 425 v. Chr. formte sich ein Ereignis, das den Verlauf des Peloponnesischen Krieges auf unerwartete Weise beeinflussen sollte: Die Schlacht von Sphakteria.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Geschichte – Sie fand dort statt, wo das karge Land Messeniens auf das aufgewühlte Herz Griechenlands traf, in einer stillen Bucht bei Pylos, hinter der sich die schmale Insel Sphakteria wie ein Wächter zwischen Meer und Festland schob. Hier, im Windschatten einer felsigen Küste, prallten zwei der bedeutendsten griechischen Poleis aufeinander – Athen und Sparta. Doch nicht nur Waffen wurden gekreuzt. Es war der Stolz Spartas, der hier wie das Spröde des antiken Marmors zersplitterte.
Griechenland in jenen Jahren war ein zerrissenes Reich, eine Welt aus Stadtstaaten, deren Streben nach Vorherrschaft unaufhörlich in offenen Konflikt mündete. Der Peloponnesische Krieg wütete bereits im siebten Jahr, als ein Sturm die athenische Flotte – bestehend aus vierzig Schiffen – unerwartet in den natürlichen Hafen von Pylos trieb. Gelegen im feindlichen spartanischen Territorium war dies mehr als nur ein Zufall des Wetters. Es war ein göttlicher Hauch, der den weiteren Kriegsverlauf lenken sollte.
Demosthenes, athenischer Feldherr, ließ fünf Schiffe zurück, befestigte den Hafen und trotzte so dem Zugriff der Spartaner. Als sich die Nachricht verbreitete, mobilisierte Sparta sofort Truppen und Flotte. Doch der Fels und das Feuer Griechenlands schlugen zurück: Zwei Tage lang scheiterten alle spartanischen Versuche, Pylos zu erobern. In einem eklatanten strategischen Versäumnis verpasste es Sparta zudem, die Zufahrten zur Bucht zu blockieren – eine Lücke, die Athen ausnutzte.
Als die athenische Hauptflotte eintraf, entbrannte eine Seeschlacht mitten in der stillen Bucht. Athen siegte auf dem Wasser und erlangte die Kontrolle über das Meer – eine Macht, die Sparta nicht besaß. Doch auf der Insel Sphakteria saßen nun 420 spartanische Hopliten, samt ihrer Heloten, fest. Isoliert und mit nur wenig Hoffnung auf Entsatz.
Die Athener versuchten eine Belagerung durch Hunger. Doch auch in der Not zeigte sich der griechische Erfindungsgeist: Spartanische Taucher schafften Nahrung unter Wasser herbei – Leinsamen, vermengt mit Honigmohn – und hielten die Verteidiger notdürftig am Leben. Die Stadt Athen tobte unterdessen politisch. Kleon, ein Demagoge, prahlte öffentlich, er könne die Spartaner binnen zwanzig Tagen zur Kapitulation zwingen. Und so wurde auch er nach Pylos geschickt, mit neuer Flotte, mit neuem Ehrgeiz.
Ein Feuer, entfacht auf Sphakteria, vernichtete die Wälder der Insel – den natürlichen Schutz der Spartaner. Die Kargheit des griechischen Bodens wurde hier zum taktischen Nachteil. Am Tag der Entscheidung landeten athenische Truppen an der Südspitze. Was folgte, war kein heldenhafter Nahkampf, sondern der gezielte Einsatz leichter Truppen, Pfeil um Pfeil, bis der spartanische Widerstand gebrochen war. Es war ein Bruch mit der klassischen Form der griechischen Kriegführung, mit dem Ideal der Hopliten-Phalanx, das in Mythen und Liedern über Generationen verklärt wurde.
Ein Offizier aus Messenien – dem Land, das einst unter dem spartanischen Joch gestöhnt hatte – führte nun athenische Peltasten über die Felsen des Nordufers, um den Spartanern in den Rücken zu fallen. Es war, wie einst bei den Thermopylen, nur dass diesmal der Verrat nicht in der Weitergabe eines Pfades bestand, sondern in der militärischen Klugheit derer, die das Terrain besser verstanden.
Die Kapitulation kam überraschend. Nicht nur für Athen, sondern für ganz Griechenland. 292 Spartaner ergaben sich, darunter 120 Spartiaten – Angehörige der spartanischen Kriegerelite, von der man geglaubt hatte, sie würde lieber sterben als sich ergeben. Der Historiker Thukydides schreibt, dass dieses Ereignis der größte Schock des gesamten Krieges war. Der Mythos der spartanischen Unbesiegbarkeit zerbrach wie ein zu hart geschmiedetes Schwert.
Die gefangenen Spartaner wurden nach Athen gebracht und dienten vier Jahre lang als politisches Druckmittel – ein lebender Beweis für den Triumph Athens über die einst als unbezwingbar geltenden Krieger aus Lakonien. Erst im Nikiasfrieden von 421 v. Chr. fanden sie ihre Freiheit wieder.
Was sich in der Bucht von Pylos abspielte, war nicht nur eine militärische Auseinandersetzung. Es war ein symbolisches Ringen um die Deutung griechischer Identität. Zwischen Hoplitenstolz und taktischer Raffinesse, zwischen archaischer Härte und strategischer Flexibilität. Die Schatten der antiken Welt warfen sich hier über die Insel Sphakteria, deren Gestalt bis heute inmitten des ionischen Lichts ruht – wie ein stummer Zeuge einer Niederlage, die die Zeit überdauerte.
Und obwohl Thukydides uns als einziger Chronist davon berichtet, bleibt der Zweifel bestehen. War alles so, wie er es schrieb? Oder war sein Bericht – trotz seiner Bekundungen der Objektivität – von einer spartanischen Quelle geprägt, die bemüht war, das Unvermeidliche edel erscheinen zu lassen? Moderne Historiker wie Loren J. Samons und Anton Powell mahnen zur Quellenkritik: Topographische Ungereimtheiten, fragwürdige militärische Entscheidungen – all dies hinterlässt Spuren von Unsicherheit. Doch gerade in dieser Unsicherheit liegt der wahre Wert der Geschichte: in ihrer Interpretation, in ihrer Spiegelung, in ihrer griechischen Tiefe. (sk)
