Vom mykenischen Erbe zur dunklen Zeit: Die Geschichte von Nichoria

In der sanften Hügellandschaft Messeniens, unweit des heutigen Dorfes Karpofora, liegt ein Ort von immenser archäologischer Bedeutung: Nichoria. Diese antike Siedlung bietet einen tiefen Einblick in die wechselvolle Geschichte Griechenlands, von der Bronzezeit bis in die frühen Eisenzeiten.​
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos

Geschichte/Reisen – Erste Besiedlungsspuren reichen bis in die frühhelladische Zeit zurück, wobei Nichoria seine Blüte während der mykenischen Ära erlebte. Mit einer Fläche von nahezu vier Hektar war die Siedlung zwar kleiner als zeitgenössische Palastzentren wie Pylos, dennoch spielte sie eine bedeutende Rolle in der regionalen Hierarchie. Die Architektur jener Zeit war geprägt von einstöckigen, rechteckigen Gebäuden, die das alltägliche Leben der Bewohner widerspiegelten. Zudem deuten Funde darauf hin, dass Nichoria Pylos untergeordnet war, was auf eine komplexe politische Struktur in der Region hinweist.

Um das 12. Jahrhundert v. Chr. wurde die Siedlung für etwa ein Jahrhundert verlassen, ein Schicksal, das sie mit vielen Orten in Griechenland teilte. Doch im 11. Jahrhundert v. Chr., während einer Phase des demografischen Wandels, wurde Nichoria erneut besiedelt. Die neuen Bewohner nutzten organische Materialien sowie Überreste der mykenischen Ruinen für den Hausbau. Die Gemeinschaft bestand aus etwa 13 bis 14 Familien, was auf eine Bevölkerung von rund 60 Personen schließen lässt. Interessanterweise fehlen Hinweise auf soziale Hierarchien in dieser Phase, was auf eine egalitäre Gesellschaftsstruktur hindeutet.

Im Verlauf des 10. und 9. Jahrhunderts v. Chr. wuchs die Bevölkerung auf etwa 200 Personen an. Die Wirtschaftsweise verlagerte sich von der dominanten Landwirtschaft der mykenischen Zeit hin zu verstärkter Viehzucht und Jagd. Eisen begann, Bronze als bevorzugtes Material abzulösen, blieb jedoch weiterhin kostbar. Der Mangel an Artefakten, die auf Fernhandel hindeuten, legt nahe, dass Nichoria in dieser Phase eine eher isolierte Gemeinschaft war.

Ein zentrales Gebäude, ursprünglich zehn Meter lang, diente als Wohnsitz der Führungsfamilie und als Ort für Versammlungen und rituelle Handlungen. Um 850 v. Chr. wurde es auf 15,9 Meter verlängert und mit einer Apsis versehen, was auf eine zunehmende soziale Differenzierung hindeutet. In der letzten Besiedlungsphase, zwischen 800 und 750 v. Chr., schrumpfte die Bevölkerung auf etwa 100 Personen. Dennoch wurde das zentrale Gebäude weiter ausgebaut, was vermuten lässt, dass das Oberhaupt der Siedlung eine Rolle innehatte, die dem homerischen „basileus“ ähnelte.

Um 750 v. Chr. endete die Geschichte Nichorias abrupt durch einen verheerenden Brand, der zur endgültigen Aufgabe der Siedlung führte. Die archäologischen Ausgrabungen unter der Leitung von George R. Rapp und William McDonald von der University of Minnesota zwischen 1968 und 1975 haben diese vielschichtige Geschichte ans Licht gebracht. Ihre Forschungen bieten wertvolle Einblicke in die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen Griechenlands während der sogenannten Dunklen Jahrhunderte.

Nichoria steht heute als Zeugnis für die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit antiker Gemeinschaften. Die Überreste dieser Siedlung ermöglichen es uns, die Übergänge von Hochkulturen zu einfacheren Lebensweisen und zurück zu komplexeren Gesellschaftsstrukturen nachzuvollziehen. (jk)

Foto: C messier, CC BY-SA 4.0, wikimedia.org

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