Polytechnio – Wo Ingenieurskunst und Freiheitskampf Wurzeln schlugen

Im Herzen der ewigen Stadt Athen, wo sich die Antike mit dem modernen Geist vereint, erhebt sich eine Institution, deren Fundament nicht allein aus Stein, sondern aus Idealismus, Wissen und Widerstand gemeißelt ist: die Nationale Technische Universität Athen, besser bekannt als Polytechnio.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Aktuell – Sie ist nicht nur die älteste technische Universität Griechenlands, sondern auch ein lebendiges Denkmal des Fortschritts und der Demokratie, eingebettet in die leidenschaftliche Geschichte eines Volkes, das stets zwischen Philosophie und Rebellion balancierte.

Gegründet im Jahr 1836, nur wenige Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit Griechenlands vom Osmanischen Reich, war das Polytechnio Teil eines nationenbildenden Projekts unter König Otto I. Die Universität war von Beginn an mehr als eine bloße Bildungseinrichtung – sie war Ausdruck des Willens, eine neue, moderne Identität für ein Land zu formen, das seine antiken Wurzeln mit einem europäischen Geist vereinen wollte. Die treibenden Kräfte hinter dieser Vision waren vier großzügige Stifter aus dem bergigen Metsovo in Epirus: Nikolaos Stournaris, Eleni Tositsa, Michail Tositsas und Georgios Averof. Ihre Namen hallen durch die Flure der Universität, wie das Echo antiker Reden durch das Dionysostheater.

In seiner frühen Phase war das Polytechnio Teil der Kunsthochschule von Athen. Erst im Jahr 1887 erfolgte die Ausdifferenzierung in technische Fakultäten – ein bedeutender Schritt, der der Institution ihre heutige Ausrichtung gab. Mit den Studiengängen Bauingenieurwesen, Architektur und Maschinenbau wurde der Grundstein für eine technologische Elite gelegt, die Griechenland fortan mit modernem Know-how versorgte. Das Polytechnio war bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein die einzige Institution des Landes, die Ingenieurausbildungen anbot – ein Monopol, das ihren Einfluss noch weiter festigte.

Die Universität ist in ihrer Struktur heute breit aufgestellt: Mit neun Fakultäten und über 40 Fachbereichen – von Architektur über Vermessungstechnik bis hin zur Elektrotechnik – zählt sie zu den führenden technischen Hochschulen Südeuropas. Etwa 10.000 Studierende und rund 1.350 wissenschaftliche Angestellte arbeiten auf dem modernen Campus im Stadtteil Zografos – doch die Geschichte, das Herz und das kollektive Gedächtnis der Institution wohnen noch immer im historischen Altbau im Stadtzentrum, der heute von der Architekturfakultät genutzt wird.

Dort, in diesen ehrwürdigen Hallen und Höfen, vollzog sich auch eines der dramatischsten Kapitel der griechischen Nachkriegsgeschichte: der Aufstand von 1973. Als sich am 14. November jenes Jahres Studenten gegen die autoritäre Militärjunta erhoben, verwandelte sich das Polytechnio in eine Bastion des Widerstands. Die Barrikaden, das improvisierte Radiostudio, die Gesänge aus den Aulen – sie riefen das Land auf, sich gegen Unterdrückung zu erheben. Es war kein Kampf mit Gewehren, sondern mit Worten, Mut und Hoffnung. In den frühen Morgenstunden des 17. November schlug die Junta blutig zurück. Ein Panzer rammte das Tor der Universität. Das Dunkel jener Nacht wurde zu einem Symbol für den Preis der Freiheit.

Obwohl keine Studenten des Polytechnio offiziell unter den Todesopfern waren, verloren mindestens 24 Zivilisten ihr Leben. Der Aufstand wurde zum Wendepunkt: Er läutete das Ende der Militärdiktatur ein und ist bis heute Mahnmal und Gedenktag zugleich. Jedes Jahr am 17. November strömen Menschen aus dem ganzen Land zum Campus, um der „Helden des Polytechnio“ zu gedenken. In Athen, Thessaloniki und zahllosen griechischen Dörfern tragen Straßen ihren Namen. Der Mythos des Polytechnio lebt – nicht nur als Geschichte, sondern als Haltung. (sk)

Denkmal für die Opfer des Aufstands vom November 1973 im Hof des Athener Polytechnio – Foto: Χρήστης -Gepsimos, wikipedia.org