Mitten in den zerklüfteten Felsen der Halbinsel Akrotiri auf Kreta, verborgen in einer abgelegenen Höhle, lebte ein Mann, dessen asketisches Leben und unerschütterlicher Glaube ihn unsterblich machten: Johannes, der Einsiedler.
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos
Gedächtnis: 7. Oktober
Götter & Gelehrte – Die griechisch-orthodoxe Kirche gedenkt ihm jedes Jahr am 7. Oktober – ein Tag, an dem sich Gläubige auf einen beschwerlichen Pilgerweg begeben, um die Stille seiner letzten Zuflucht zu ehren. Doch wer war dieser Mann, der sich für ein Leben in Einsamkeit entschied und dennoch bis heute unzählige Menschen inspiriert?
Die Geschichte des Johannes beginnt nicht allein, sondern im Kreise einer außergewöhnlichen Gemeinschaft. Anfang des 17. Jahrhunderts verließ eine Gruppe von 37 ägyptischen Mönchen ihre Heimat, um sich auf Zypern niederzulassen. Ihr Ruf als fromme Asketen verbreitete sich jedoch rasch, sodass sich weitere 38 Gläubige ihnen anschlossen. Doch die Sehnsucht nach Abgeschiedenheit trieb sie weiter – nach Antalya in Kleinasien, wo sich abermals 24 Jünger hinzugesellten. Schließlich beschlossen die nun 99 Väter, dass sie keine weiteren Mitglieder mehr aufnehmen wollten, da Christus selbst ihr unsichtbarer 100. Begleiter sein sollte.
Der Wunsch nach vollkommener Einsamkeit führte die Gemeinschaft nach Kreta. Nach einer stürmischen Überfahrt landeten sie zunächst auf der kleinen Insel Gávdos, wo sie – der Überlieferung nach – durch ein Wunder mit frischem Wasser versorgt wurden. Als sie schließlich nach Kreta weiterzogen, bemerkten sie das Fehlen eines ihrer Brüder: Johannes hatte sich so tief ins Gebet vertieft, dass er den Aufbruch nicht mitbekam. Doch anstatt zu verzweifeln, setzte er – ähnlich wie einst Franz von Paola – seinen Glauben in die Tat um: Mit seinem Mantel als Boot, seinem Stock als Mast und seiner Kutte als Segel überquerte er das Meer und erreichte Kreta wohlbehalten.
Während sich die 99 Väter in den Höhlen von Azogirés niederließen, spürte Johannes, dass sein Ruf ihn weiter in die Stille trieb. Er verabschiedete sich von seinen Brüdern, die bei ihrem letzten gemeinsamen Gebet den Wunsch äußerten, dass sie alle am selben Tag sterben mögen. Johannes zog sich zunächst in eine Höhle bei Kissamos zurück, bevor er seine letzte Wohnstätte auf der Halbinsel Akrotiri fand.
Dort lebte er jahrelang in völliger Zurückgezogenheit, gehüllt in ein einfaches Fell, das ihn vor Wind und Kälte schützte. Doch sein Leben nahm ein tragisches Ende: Ein Hirte, der ihn in der Ferne für ein Tier hielt, schoss versehentlich auf ihn. Verwundet schleppte sich Johannes in seine Höhle zurück, wo der Hirte ihm nachfolgte und in jenem Moment erkannte, dass er einen Heiligen getroffen hatte. Der Sterbende gewährte ihm Vergebung und bat ihn, seinen Brüdern in Azogirés die Nachricht zu überbringen, dass ihre Zeit gekommen sei. Als der Hirte dort eintraf, fand er die 98 Mönche bereits verstorben – viele von ihnen noch in aufrechter Gebetshaltung.
Noch heute zeugen zahlreiche Stätten von dem heiligen Wirken des Johannes und seiner Brüder. Die Höhle von Azogirés, über der das Kloster der 99 Heiligen Väter errichtet wurde, ist ein spiritueller Wallfahrtsort. Die Einheimischen erzählen, dass eine jahrhundertealte Platane in der Nähe niemals ihre Blätter verliert und ihre Äste sich in Kreuzform biegen – ein weiteres Zeichen der göttlichen Gnade.
Besonders aber wird die Höhle des Johannes auf Akrotiri verehrt. An seinem Gedenktag, dem 7. Oktober, pilgern Tausende dorthin, um nach einer anstrengenden Wanderung durch die wilde Landschaft an einer feierlichen Messe teilzunehmen. Der Gottesdienst erinnert nicht nur an sein heiliges Leben, sondern auch an den tiefen Glauben, der ihn durch jedes Hindernis trug – selbst über das Meer hinweg.
Johannes wurde 1632 von Patriarch Cyrill Loukaris von Konstantinopel offiziell heiliggesprochen. Sein Gedenktag wurde bewusst auf den 7. Oktober gelegt (einen Tag nach seinem Todestag, dem 6. Oktober), um nicht mit dem Fest des Heiligen Thomas zu kollidieren. Bis heute wird Johannes als Schutzpatron der Einsiedler und als Sinnbild für tiefe spirituelle Hingabe verehrt. (jk)
