Im Glanz des attischen Äthers – Griechenlands Licht, das die Welt erhellt

Seit Jahrtausenden erhebt sich über den kargen Hügeln Attikas ein Licht, das mehr ist als bloßes Naturphänomen. Es ist ein Strahlen, das Denken beflügelt, Kunst erhebt und Geister klärt – das sogenannte attische Licht. In Athen geboren, in der Antike gepriesen, wirkt es bis heute als sinnlich-poetisches wie intellektuelles Vermächtnis des alten Griechenlands.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Geschichte – Schon der griechische Rhetor Aelius Aristides beschrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. das Licht Athens als eine Krone, die die Stadt schmücke, sichtbar aus der Ferne, als sei sie von göttlicher Hand gezähmt worden. Nicht allein seine Helligkeit, sondern die besondere Klarheit und Transparenz dieses Lichts zeichnen es aus – eine Mischung aus geographischen, klimatischen und atmosphärischen Bedingungen, die die Region rund um Athen zur leuchtenden Bühne der Zivilisationsgeschichte machten.

In dieser Landschaft, durch die das Sonnenlicht wie durch eine Linse gebrochen wird, reifte nicht nur das Auge für Schönheit, sondern auch der Sinn für Freiheit, Maß und geistige Weite. Der Philosoph Sokrates wandelte unter diesem Himmel, das Theater von Epidaurus wurde in diesem Licht zum Resonanzraum der Tragödie, und der Parthenon auf der Akropolis, errichtet zwischen 447 und 432 v. Chr., scheint bis heute mehr aus Licht als aus Marmor zu bestehen. In der griechischen Antike galt das Licht nicht nur als göttliche Gabe, sondern auch als Ausdruck einer höheren Ordnung. Kein Wunder also, dass die attische Sonne als Metapher in die europäische Geistesgeschichte einging.

Der deutsche Schriftsteller Erhart Kästner beschrieb dieses Licht als gelbgolden, fast wie eine Aura, die sich über das Land legt. Es ist ein Licht, das Stille spricht, das Denken fokussiert und die Farben auf eine fast übernatürliche Weise leuchten lässt. Das attische Licht wurde so zum Symbol für Aufklärung, für ein freies, kritisches Denken – eine Idee, die im klassischen Griechenland wurzelt und in der Neuzeit wieder aufgegriffen wurde. Als Martin Pollich feststellte, in Ostelbien leuchte kein attisches Licht, beschrieb er damit nicht nur ein geografisches, sondern auch ein geistiges Defizit – das Fehlen jenes hellen Geistes, der die antike Polis Athens auszeichnete.

Athen, das in der klassischen Zeit des 5. Jahrhunderts v. Chr. zur Geburtsstätte der Demokratie wurde, verdankt dem attischen Licht mehr als nur seine visuelle Schönheit. Es ist das Licht, das den Dialog ermöglichte, das Streitgespräch zwischen Philosophen, das poetische Ringen auf der Bühne – ein Licht, das durchdringt, was dunkel ist, ein Licht, das Denken und Dichtung gleichermaßen schärfte.

Auch der Blick der Maler, Bildhauer und Dichter wurde vom attischen Licht geprägt. Es formte die Schatten der dorischen Säulen, ließ die Gesichter der Götterbilder lebendig erscheinen und spiegelte sich in den philosophischen Schriften Platons und Aristoteles’ wider. Es ist ein Licht, das nicht blendet, sondern offenbart – ein Licht der Maßhaltung, der Differenzierung, der geistigen Klarheit.

Im heutigen Griechenland lässt sich dieses Licht noch immer beobachten: am frühen Morgen, wenn die ersten Strahlen das Pentelikon-Gebirge vergolden, oder am Nachmittag, wenn die Sonne über dem Saronischen Golf langsam sinkt und die weißen Häuser Athens in zartem Rosa glühen. Es ist ein Licht, das Reisende, Künstler und Suchende seit Jahrhunderten anzieht – auf der Spur jener alten Kraft, die einst Philosophie, Politik und Poesie gebar.

Die Spuren des attischen Lichts führen nicht nur durch die Ruinen vergangener Größe, sondern auch durch das kulturelle Erbe Europas. Wo immer sich ein Geist frei entfaltet, ein Gedanke klar äußert oder eine Stimme nach Gerechtigkeit ruft, schimmert etwas von jenem Licht, das einst über der Agora Athens lag. Es ist das Erbe Griechenlands – sichtbar in Steinen, spürbar im Geist. (sk)

Foto: Hellas-Bote