Griechenlands heimliche Handschrift im Werk des Vitaliano Poselli

Als der sizilianische Architekt Vitaliano Poselli im Jahre 1838 geboren wurde, ahnte wohl niemand, dass er später ein künstlerisches Band zwischen Italien, dem Osmanischen Reich und Griechenland knüpfen würde, das bis heute spürbar ist.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou

Reisen/Geschichte – Sein Lebensweg führte ihn zunächst nach Konstantinopel, gerufen vom Sultan, ehe er 1885 nach Thessaloniki übersiedelte. Dort, wo sich Europa und Orient die Hand reichen, entfaltete sich sein Schaffen zu voller Größe – und gerade Griechenland wurde die Bühne für sein architektonisches Vermächtnis.

#Thessaloniki, die Stadt, die seit der Antike von makedonischen Königen, römischen Kaisern und byzantinischen Herrschern geprägt wurde, empfing Poselli in einer Zeit des Übergangs. Noch unter osmanischer Verwaltung, zugleich jedoch durchdrungen vom kulturellen Geist Griechenlands, das sich im 19. Jahrhundert neu formierte, wurde die Metropole zur Leinwand für seine eklektische Baukunst. Poselli ließ sich von europäischen Klassizismen ebenso inspirieren wie von islamischer Ornamentik – und doch sind es die griechischen Spuren, die sich durch seine Werke wie feine Linien im Marmor ziehen.

Die Villa Allatini, 1874 errichtet, trägt nicht nur den Namen einer bedeutenden jüdisch-griechischen Familie, sondern auch die Erinnerung an die Vielstimmigkeit Thessalonikis. Hier residierte zeitweise Sultan Abdülhamid II. im Exil, während unweit davon die Geräusche der Allatini-Mühle die industrielle Moderne der Stadt einläuteten. 1891 entstand das „Diikitirio“, das Verwaltungsgebäude des Osmanischen Reiches, heute Sitz des griechischen Ministeriums für Makedonien-Thrakien. Seine steinernen Fassaden erinnern an die Machtspiele vergangener Epochen, doch seine heutige Funktion ist untrennbar mit der griechischen Staatsidee verbunden, die nach der Befreiung Thessalonikis 1912 Wirklichkeit wurde.

Besonders eindrucksvoll zeigt sich Posellis Gespür für kulturelle Verflechtungen im Yeni Cami, zwischen 1901 und 1902 für die Dönmeh – zum Islam übergetretene sephardische Juden – erbaut. Die klare Formensprache des Sakralbaus trägt islamische Züge, doch das Bauwerk erhebt sich mitten in einer Stadt, deren christlich-griechische Identität über die Jahrhunderte hinweg niemals verschwand. Ähnlich verhält es sich mit der Kirche der Jungfrau Maria, die er von 1902 bis 1903 errichtete: Hier hallen byzantinische Traditionen nach, die tief im griechischen kulturellen Gedächtnis verwurzelt sind.

Auch das Finanzwesen der Stadt erhielt durch Poselli ein architektonisches Gesicht. 1904 gestaltete er die Banque d’Athenes, die heute das Jüdische Museum Thessalonikis beherbergt, und nur wenige Jahre später die Banque de Salonique (1906–1908). Diese Gebäude erzählen von Handel, Macht und dem wirtschaftlichen Aufschwung einer Stadt, die seit der Antike ein Knotenpunkt des Mittelmeerraumes war – und zugleich davon, wie eng ökonomische Entwicklung und griechische Kulturgeschichte verflochten sind.

Vitaliano Poselli starb 1918, im Jahr, in dem Thessaloniki längst Teil des griechischen Staates geworden war. Sein Leben umspannte damit jene Zeit, in der Griechenland seine moderne Identität formte. (mv)

Foto: I, Ωριγένης, CC BY-SA 3.0, wikimedia.org