Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), hat seine einwöchige Solidaritätsreise zu Geflüchteten in Griechenland und der Türkei beendet.
Aktuell – „Auf meiner Reise bin ich Schutzsuchenden begegnet, denen die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben war. So haben mir geflüchtete Familien im Lager Mavrovouni auf Lesbos von schweren Traumata, mangelnder medizinischer Versorgung und großer Perspektivlosigkeit berichtet. Einige haben auch Pushbacks oder andere Gewalterfahrungen geschildert. Ohne den tatkräftigen Einsatz von Nichtregierungsorganisationen wäre die ohnehin desolate Lage noch um einiges schlimmer. Wir brauchen dringend eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die einen besseren Flüchtlingsschutz und eine faire Verantwortungsteilung zwischen den EU-Mitgliedstaaten ermöglicht – kurz gesagt: eine menschenwürdige und solidarische Flüchtlingspolitik. Im griechisch-türkischen Grenzgebiet entscheidet sich, ob Europa dazu imstande ist“, stellte Erzbischof Heße fest.
In der griechischen Hauptstadt Athen erörterte er mit dem Minister für Migration und Asyl der Hellenischen Republik, Dimitris Kairidis, sowie mit Vertreterinnen des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR), der Europäischen Kommission und der Deutschen Botschaft flüchtlingspolitische Perspektiven für Griechenland und Europa. Dabei betonte der Sonderbeauftragte: „Wer die Aufnahme von Flüchtlingen als Bedrohung darstellt, spielt den Populisten in die Karten. Erforderlich ist stattdessen ein funktionsfähiges Asylsystem, eine aktive Integrationspolitik und ein Diskurs, der die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen in den Mittelpunkt rückt.“
Bei einem Austausch mit dem römisch-katholischen Erzbischof von Athen, Erzbischof Theodoros Kontidis SJ, dem Apostolischen Nuntius in Griechenland, Erzbischof Jan Romeo Pawlowski, und der Präsidentin von Caritas Hellas, Anna-Maria-Stella Foskolou, informierte sich Erzbischof Heße über die kirchliche Arbeit in Griechenland. Des Weiteren konnte er in Athen und auf Lesbos Hilfsprojekte katholischer Organisationen besuchen. „Die Katholiken sind in Griechenland nur eine kleine Minderheit. Umso mehr hat mich das Engagement der Caritas und des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes beeindruckt. Dieser kirchliche Beitrag zur Unterstützung von Schutzsuchenden ist unverzichtbar – vor allem für vulnerable Flüchtlingsgruppen“, so Erzbischof Heße.
Auch in der Türkei bildete der Besuch kirchlicher Flüchtlingsprojekte einen Schwerpunkt. Dazu gehörten beispielsweise das von Salesianern betriebene „Don Bosco Learning Center“ für geflüchtete Kinder, die keinen Zugang zu regulären Schulen haben, sowie lokale Caritas-Aktivitäten in Izmir und Istanbul. Bei Begegnungen mit dem Erzbischof von Izmir, Erzbischof Martin Kmetec OFMConv, und dem in Istanbul ansässigen chaldäisch-katholischen Erzbischof von Diyarbakir, Erzbischof Sabri Anar, machte Erzbischof Heße sich ein Bild von der Lage der Christen im Land.
Gespräche mit Vertretern des deutschen Generalkonsulats in Istanbul und deutscher politischer Stiftungen sowie mit zivilgesellschaftlichen Akteuren dienten dem besseren Verständnis aktueller Entwicklungen in der Türkei: „Angesichts der großen Zahl von etwa vier Millionen Syrern, die in der Türkei Aufnahme gefunden haben, und angesichts der schweren Wirtschaftskrise, die das Land seit einiger Zeit durchlebt, gibt es in der türkischen Gesellschaft nur eine geringe Bereitschaft, Geflüchtete zu integrieren. Das Land bedarf auch weiterhin europäischer und internationaler Unterstützung, um die enormen Herausforderungen im Flüchtlingsbereich bewältigen zu können. Gleichzeitig wurde mir immer wieder signalisiert, dass in der Türkei selbst Veränderungsprozesse stattfinden müssen, damit Ressentiments gegenüber Geflüchteten abgebaut werden und sozialer Zusammenhalt erreicht werden kann“, so Erzbischof Heße.
Die Relevanz kommunaler Strategien für ein gutes Miteinander von Geflüchteten und Aufnahmegesellschaft stand im Fokus eines Treffens mit dem stellvertretenden Bürgermeister von Izmir, Mustafa Özuslu. Über die Schaffung sicherer Wege für Geflüchtete aus der Türkei in andere Aufnahmeländer – vor allem durch Resettlement und Familienzusammenführung – sprach Erzbischof Heße mit Vertretern der Internationalen Katholischen Migrationskommission (ICMC) sowie der Internationalen Organisation für Migration (IOM).
Auf allen Stationen seiner Reise feierte Erzbischof Heße Gottesdienste mit den Gläubigen vor Ort, darunter Mitglieder der deutschsprachigen Gemeinden und Geflüchtete: „Die Türkei und Griechenland sind prägende Orte für unseren Glauben. Wenn man hier als Christ unterwegs ist, bewegt man sich immer auch auf den Spuren des Apostels Paulus. So klein die katholische Kirche in beiden Ländern auch sein mag: Sie ist lebendig und vielfältig! Für viele christliche Schutzsuchende sind die Kirchen spirituelle Zufluchtsorte. Die Gottesdienste, die ich mit Geflüchteten feiern konnte, waren besonders bewegend.“ Zum Abschluss der Reise hatte Erzbischof Heße auch die Gelegenheit, das Ökumenische Patriarchat in Istanbul zu besuchen. Im Gespräch mit dem Vikar von Patriarch Bartholomaios, Metropolit Apostolos Daniliidis, unterstrich er: „Die Erfahrungen der Flüchtlinge, die mir in den vielen Gesprächen geschildert wurden, lassen mich sehr nachdenklich nach Deutschland zurückkehren. Als Kirchen müssen wir gemeinsam für Menschen da sein, die Not leiden und Schutz bedürfen. Wie Franziskus es uns immer wieder sagt: Gehen wir an die Ränder, gestalten wir mit und für Migranten die Zukunft. Flüchtlingsschutz ist ein ureigener Auftrag der Kirche – er geht jeden von uns an.“
Die letzten Solidaritätsreisen führten Erzbischof Heße nach Polen und in die Ukraine (2022), nach Marokko (2020), Äthiopien (2019), Sizilien (2017) und in den Libanon (2016). (opm)