Athen steht vor einer der schwersten Wasserkrisen der vergangenen Jahrzehnte. Die staatliche Regulierungsbehörde für Wasser- und Energieversorgung hat für die Region Attika sowie für die Inseln Patmos und Leros den Notstand ausgerufen.
Von HB-Redakteur Vangelis Makris
Aktuell – Dieser Schritt markiert einen administrativen Ausnahmezustand, der den Behörden erlaubt, schneller auf die dramatisch sinkenden Reserven zu reagieren. Die Ankündigung erfolgt in einem Moment, in dem die Bilder überfluteter Straßen nach dem Sturmtief „Adel“ noch kaum verklungen sind, während hinter den Kulissen ein langfristiger Wassermangel immer bedrohlichere Ausmaße annimmt.
Die vier Stauseen, die den Großraum Athen mit Trinkwasser versorgen, verlieren seit Jahren an Volumen. Seit 2022 geht der Pegel kontinuierlich zurück; allein innerhalb der vergangenen 40 Tage schrumpften die Vorräte um weitere 32,2 Millionen Kubikmeter. Insgesamt stehen aktuell nur noch 367,4 Millionen Kubikmeter Wasser zur Verfügung – weniger als ein Drittel des Niveaus, das die Region über mehr als ein Jahrzehnt hinweg als stabil angesehen hatte. Die Technische Universität Athen dokumentiert in einer umfassenden Analyse, dass die Reservoirs zwischen 2008 und 2021 im Schnitt 1,1 Milliarden Kubikmeter fassten. Seither hat sich das Gleichgewicht jedoch verschoben.
Der größte Stausee der Region, der Mornos-Stausee, der eigentlich über 747,6 Millionen Kubikmeter aufnehmen kann, enthält derzeit nur noch etwa 165 Millionen. Auch die weiteren Talsperren – Evinos, Yliki und Marathon – melden Füllstände von nur knapp einem Drittel ihrer Gesamtkapazität. Fachleute der öffentlichen Wasserwerke EYDAP warnen, dass selbst außergewöhnlich starke Niederschläge die Lage nicht kurzfristig entspannen würden. Um den Stand des Jahres 2021 zu erreichen, wären selbst bei einer Verdreifachung des üblichen Regens mindestens sechs Jahre nötig.
Die Gründe für den drastischen Rückgang liegen nach Einschätzung der Wissenschaftler in den Folgen des Klimawandels. Die jährlichen Niederschlagsmengen sind um rund 25 Prozent gesunken, gleichzeitig lassen steigende Temperaturen die Verdunstung aus offenen Wasserflächen um 15 Prozent ansteigen. Hinzu kommt ein wachsender Verbrauch – rund sechs Prozent mehr als noch vor einigen Jahren – befeuert durch längere Hitzeperioden und den gestiegenen Bedarf in den Haushalten der mehr als vier Millionen Menschen in der Region.
Der nun ausgerufene Notstand soll vor allem kurzfristige Eingriffe ermöglichen. Ausschreibungen können verkürzt, Genehmigungsverfahren beschleunigt werden – ein entscheidender Faktor in einer Situation, die von Monat zu Monat angespannter wird. Umwelt- und Energieminister Stavros Papastavrou betonte in einem TV-Interview, dass „schwierige Entscheidungen nicht länger aufgeschoben werden können“. Die Regierung plant, in den kommenden zehn Jahren rund 2,5 Milliarden Euro in die Wasserinfrastruktur zu investieren.
Als Sofortmaßnahmen bereiten die Behörden zusätzliche Tiefbohrungen in Attika und Mittelgriechenland vor, um tiefer gelegene Grundwasserschichten zu erschließen. Parallel dazu soll eine landesweite Informationskampagne den Alltag der Bevölkerung in den Blick nehmen: Ziel ist es, den Wasserverbrauch der Haushalte um fünf Prozent zu senken. Ein technisches Großprojekt entsteht derweil am Golf von Korinth. In der Nähe des Ortes Thisvi ist eine Anlage zur Meerwasserentsalzung geplant, um die Versorgung langfristig zu entlasten.
Das ehrgeizigste Vorhaben aber betrifft ein Tunnel- und Kanalsystem, das mehrere Hundert Kilometer durch das Landesinnere führen soll. Damit soll Wasser aus dem Stausee Kremasta nach Attika geleitet werden – ein Projekt, das nach Einschätzung von Fachleuten die Versorgung Athens für ein halbes Jahrhundert absichern könnte. Die Arbeiten stehen jedoch vor erheblichen technischen, finanziellen und ökologischen Herausforderungen. Dennoch sehen Entscheidungsträger darin eine der wenigen Möglichkeiten, einer strukturellen Wasserknappheit zu begegnen, deren Ursachen vermutlich nicht mehr rückgängig zu machen sind. (mav)

