Die eskalierende Gewalt in Haiti treibt nach Angaben der SOS-Kinderdörfer immer mehr Familien in die Flucht. Banden verbreiten Angst und Schrecken, setzen Häuser in Brand und kontrollieren insbesondere in der Hauptstadt Port-au-Prince die Straßen.
Magazin – Zahlreiche Menschen sind schon ums Leben gekommen, mehr als 360 000 Familien haben ihr Zuhause verlassen. Faimy Loiseau, Leiterin der SOS-Kinderdörfer in Haiti, sagt: „Sie fliehen, um sich und ihre Kinder zu schützen und ihr Leben zu retten. Aber die Tragödie geht weiter: Die Menschen haben alles verloren. Es gibt keine Sicherheit und sie können ihre Kinder nicht ernähren.“
Bereits jetzt leidet die Hälfte der Bevölkerung – 5 Millionen Menschen – an Nahrungsmittelknappheit, eine Situation, die sich nach Angaben der Hilfsorganisation weiter zuspitzt. Loiseau sagt: „Die Banden haben Geschäfte zerstört und Häfen blockiert und damit die Lebensmittelpreise weiter in die Höhe getrieben.“ Babys und Kleinkinder sind besonders bedroht. Bei ihnen führt die unzureichende Ernährung schnell zu Entwicklungsverzögerungen, Krankheiten und Tod.
Zum Teil wurden Schulen oder Regierungsgebäude zu Sammelunterkünften umfunktioniert, andere Familien leben auf der Straße. „Die Kinder werden sämtlicher Rechte beraubt. Sie können ihre Bildung nicht fortführen, müssen Angst haben, von Banden zwangsrekrutiert oder ausgebeutet zu werden. Kinder werden als Späher eingesetzt, und diejenigen, die die Bande verlassen wollen, fürchten Vergeltungsmaßnahmen für sich und ihre Familien. Einige Kinder, die zu fliehen versuchten, wurden getötet“, sagt Loiseau.
Auch die Hygienestandards in den Lagern seien völlig unzureichend, was immer wieder zu Infektionskrankheiten führe. Gleichzeitig mangle es an medizinischer Versorgung. Loiseau sagt: „Viele Krankenhäuser in Haiti sind zerstört worden und die wenigen, die noch arbeiten, sind völlig überlastet. Vielerorts ist auch der Weg zum Arzt aufgrund der Kriminalität hochriskant.“
Die SOS-Kinderdörfer sind seit Jahrzehnten in Haiti aktiv und führen auch unter den herausfordernden Bedingungen ihre Programme fort. Elternlose Kinder bekommen ein Zuhause, Familien werden mit Lebensmitteln und psychologischer Hilfe unterstützt. „Sie haben aktuell Vorräte für einen Monat. Für den Fall, dass sich die Lage verschlechtert, haben wir Notreserven“, sagt Loiseau. In der Stadt Santo sind die Schulen der Hilfsorganisation geschlossen, aber der Unterricht geht weiter. Lehrer verteilen Aufgaben per Handy oder geben Kopien aus. Die Hilfe soll ausgeweitet werden.
Kinder auf der Flucht: Nie zuvor waren so viele Kinder weltweit auf der Flucht: Allein zwischen 2010 und 2021 ist die Zahl der gewaltsam vertriebenen Kinder um schätzungsweise 230 Prozent auf 36,5 Millionen gestiegen. Insbesondere Kinder, die alleine auf der Flucht sind, erleben vielfach Gewalt, leiden Hunger und sind zahlreichen Risiken ausgesetzt. In der Serie „Kinder auf der Flucht“ widmen sich die SOS-Kinderdörfer Fluchtbewegungen weltweit und ihren Auswirkungen auf die Kinder. (opm)