Die Lufthansa steht möglicherweise vor der größten Bewährungsprobe seit Jahren. Eine Urabstimmung unter den Pilotinnen und Piloten hat ein eindeutiges Ergebnis gebracht: Mit überwältigender Mehrheit votierten die Beschäftigten für einen Arbeitskampf. Damit könnte es nach drei Jahren Streikpause wieder zu massiven Einschränkungen im Flugverkehr kommen.
Von HB-Redakteur Dietmar Thelen
Magazin – Von den rund 4.800 Pilotinnen und Piloten der Kranich-Airline und ihrer Frachttochter beteiligten sich laut Gewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) 90 Prozent der Lufthansa- und sogar 95 Prozent der Cargo-Beschäftigten an der Abstimmung. Das Ergebnis fiel dabei so deutlich aus wie selten zuvor: 88 Prozent bei der Passage und 96 Prozent bei der Fracht stimmten für die Möglichkeit eines Streiks. Schon jetzt ist klar, dass die Hürden für einen Arbeitskampf – mindestens 70 Prozent Zustimmung wären erforderlich gewesen – weit übertroffen wurden. Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen galten automatisch als Nein-Votum, was die Klarheit des Ergebnisses zusätzlich unterstreicht.
Noch ist kein konkreter Streiktermin festgelegt. Doch bereits am Mittwoch will die Tarifkommission zusammen mit dem Vorstand der Gewerkschaft beraten, wie es weitergeht. VC-Präsident Andreas Pinheiro machte deutlich, dass die nächsten Schritte stark vom Verhalten des Arbeitgebers abhängen: „Die Stärke unseres Arbeitskampfes hängt maßgeblich von der Verhandlungsbereitschaft der Lufthansa ab. Jetzt erwarten wir ein abschlussfähiges Angebot.“
Im Zentrum der Auseinandersetzung steht ein Thema, das für die Pilotenschaft existenzielle Bedeutung hat: die betriebliche Altersvorsorge. Seit der Umstellung des Versorgungssystems im Jahr 2017, so die Gewerkschaft, habe sich das Niveau der Absicherung spürbar verschlechtert – vor allem aufgrund der niedrigen Verzinsung. VC fordert daher höhere Arbeitgeberbeiträge, um die Planungssicherheit im Alter zu gewährleisten.
Auf Unternehmensseite klingt der Ton zurückhaltender. Lufthansa-Personalvorstand Michael Niggemann betonte am Montag die Gesprächsbereitschaft, warnte jedoch vor Illusionen: „Tragfähige Lösungen entstehen am Verhandlungstisch.“ Die Kerngesellschaft der Lufthansa befinde sich weiterhin in der Verlustzone, erklärte Niggemann, weshalb zusätzliche Belastungen kaum zu stemmen seien.
Die Lufthansa verweist auf ein laufendes Sanierungsprogramm, das bereits einschneidende Maßnahmen vorsieht. Erst vor wenigen Tagen hatte das Management angekündigt, bis 2030 etwa 4.000 Stellen in der Verwaltung zu streichen. Konzernchef Jens Ritter machte zudem deutlich, dass es schlichtweg keine Mittel gebe, um die Altersvorsorge wie gefordert aufzustocken.
Reisende und Geschäftskunden müssen sich daher auf eine ungewisse Zukunft einstellen. Denn sollten die Piloten tatsächlich in den Streik treten, wären nahezu alle Flüge der Lufthansa-Kerngesellschaft betroffen – wie es schon in früheren Arbeitskämpfen der Fall war. Der letzte Streik liegt zwar bereits im Jahr 2022 und dauerte nur einen Tag, doch die Auswirkungen waren selbst damals erheblich. Ein umfassender Ausstand könnte diesmal weitreichendere Folgen für den europäischen und internationalen Flugverkehr haben.
Die kommenden Tage werden daher entscheidend sein: Gelingt es den Tarifparteien, in einer neuen Verhandlungsrunde eine Lösung zu finden – oder steuert die Lufthansa direkt in den nächsten Arbeitskampf? Klar ist nur, dass die Pilotinnen und Piloten ihre Geschlossenheit eindrucksvoll demonstriert haben. (dt)
