Der Leuchtturm von Tourlitis als steinernes Gedicht der Ägäis

Inmitten der smaragdgrünen Fluten der Ägäis erhebt sich ein Fels wie aus der Seele der griechischen Mythologie gemeißelt. Auf diesem einsamen Stein, kaum mehr als ein Krümel in der Hafenbucht von #Andros, steht ein Leuchtturm, dessen Licht nicht nur den Weg weist, sondern auch die Zeit durchdringt.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Reisen – Der Leuchtturm von Tourlitis ist kein gewöhnliches Seezeichen – er ist ein Denkmal griechischer Seele, ein steinernes Zeugnis der Hoffnung, Erinnerung und maritimen Geschichte. Errichtet im Jahr 1897 auf einem isolierten Felsen nahe des venezianischen Kastells von Andros, ist der Tourlitis-Leuchtturm der erste und einzige seiner Art in Griechenland, der nicht auf festem Land, sondern auf einer natürlichen Felsnadel mitten im Wasser thront. Diese Lage verleiht ihm eine fast surreale Erscheinung – wie ein Wachposten aus einer anderen Welt, entrückt und gleichzeitig zutiefst verwurzelt in der Geschichte der Kykladen. Sein Licht scheint nicht nur über die See, sondern über das kulturelle Gedächtnis eines Landes, dessen Beziehung zum Meer so tief ist wie seine Mythen alt.

Die Insel Andros, das nördlichste Eiland der Kykladen, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Schon in der Antike war sie ein bedeutendes Zentrum der Ägäis, bewohnt seit der Bronzezeit, reich an künstlerischer, philosophischer und nautischer Tradition. In diesem historischen Kontext wirkt der Leuchtturm wie ein zeitgenössischer Herold der Vergangenheit, ein Bindeglied zwischen byzantinischen Seefahrern, venezianischen Herrschern und der Moderne.

Doch der Glanz des Tourlitis wurde in der Dunkelheit des 20. Jahrhunderts für Jahrzehnte ausgelöscht. Im Jahr 1943, während des Zweiten Weltkriegs, wurde der Leuchtturm bei einem deutschen Luftangriff zerstört – ein Opfer des Krieges, wie so viele kulturelle Schätze Europas. Was einst ein Symbol für Sicherheit und Orientierung war, blieb nur noch als Ruine auf dem vom Salzwasser umtosten Felsen zurück. Erst 1950 errichtete man einen provisorischen Gerüstturm, der funktional, aber seiner Schönheit beraubt war.

Es war schließlich ein Akt tiefer persönlicher Verbundenheit, der dem Leuchtturm neues Leben schenkte. 1994 ließen die Reeder Alexandros und Marietta Goulandris den Turm originalgetreu wieder aufbauen – ein Akt der Liebe und Erinnerung an ihre früh verstorbene Tochter Violanto. In heller Natursteinoptik mit weißer Galerie und filigraner Laterne wurde der Leuchtturm erneut zu dem, was er einst war: ein architektonisches Gedicht aus Licht und Stein.

Mit seinen sieben Metern Höhe und einer Feuerhöhe von 19 Metern ist der Tourlitis-Leuchtturm heute nicht nur technisches Instrument der Navigation, sondern auch ein nationales Wahrzeichen. Seine Kennung – zwei weiße Blitze alle 15 Sekunden – scheint wie ein Puls, der das Herz der Insel schlägt. Seine Nenntragweite von sechs Seemeilen reicht weit hinaus über das Wasser – hinein in die Herzen derjenigen, die ihn betrachten.

Auch die griechische Post ehrte dieses maritime Kunstwerk: Am 21. August 2009 erschien im Rahmen der Sondermarkenserie „Leuchttürme Griechenlands“ eine Marke zu 0,57 € mit dem Abbild des Tourlitis-Leuchtturms. Diese philatelistische Hommage reiht ihn in eine Serie ein, die fünf der rund 120 traditionellen Leuchttürme des Landes würdigt – jeder ein stummer Erzähler einer eigenen Geschichte, doch keiner so poetisch platziert wie jener auf der Felsnadel von Andros.

Seine Existenz erzählt nicht nur von nautischer Präzision, sondern von der Kraft der Erinnerung, von der Verbindung zwischen Menschen, Meer und Mythos. Ein Symbol, das in der Abenddämmerung glüht wie ein antiker Vers auf einer modernen Leinwand. (sk)

Foto: anjči, www.flickr.com, CC BY 2.0, wikimedia.org