Zwischen Tanz, Liebe und Tradition: Die Sousta – Herzschlag der Ägäis

Einblicke in den facettenreichen Volkstanz Griechenlands, der mehr als nur Bewegung ist.
Von HB-Redakteur Panos Ventouris

Geschichte – Inmitten der blau-weißen Pracht der Dodekanes-Inseln, wo das Rauschen des Meeres mit den Klängen von Lyra und Laouto verschmilzt, lebt eine alte griechische Tradition weiter: die Sousta (griechisch: Σούστα). Was auf den ersten Blick wie ein lebhafter Hochzeitstanz erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als kultureller Schatz mit einer tiefgreifenden sozialen und historischen Bedeutung.

Die Sousta ist nicht einfach ein Tanz – sie ist ein Dialog. Ein wortloser Austausch zwischen Mann und Frau, bei dem Blicke, Schritte und Gesten das sagen, was Worte nicht ausdrücken können. Ursprünglich bei Hochzeiten als Akt der Brautwerbung getanzt, verkörpert sie romantische Werbung, soziale Verbindung und geschlechtliche Rollenbilder auf zugleich subtile und festliche Weise.

Was die Sousta besonders macht, ist ihre regionale Vielfalt: Fast jede Insel der Ägäis kennt eine eigene Variante dieses Tanzes – von der wild-romantischen Choreografie auf Karpathos bis zur feinsinnig symbolischen Interpretation auf Rhodos. In allen bleibt das zentrale Motiv gleich: die Annäherung zweier Menschen im Rhythmus von Musik, Gefühl und Tradition.

Die Ursprünge der Sousta reichen zurück bis in die Antike. Schon auf Kreta tanzten Priesterinnen und Priester die Sousta zur Ehre der Erdgöttin Rhea. Ihre hüpfenden Sprünge galten als Fruchtbarkeitsritual, ihre fließenden Bewegungen als Nachahmung der Wellen des Meeres. Mit der Zeit verwandelte sich die Sousta – aus einem rituellen Tanz wurde ein sozialer Höhepunkt im Leben junger Menschen in den Dörfern.

Im 20. Jahrhundert war die Sousta nicht nur Ausdruck von Liebe, sondern auch Symbol für Widerstand und Zusammenhalt: Auf den Dodekanes-Inseln, die bis 1947 unter italienischer Herrschaft standen, wurde sie bei geheimen Festen zelebriert – ein stilles Bekenntnis zur griechischen Identität. Nach dem Krieg tanzte man die Sousta in jedem Dorf – nicht nur zur Brautwerbung, sondern als Zeichen von Freiheit.

Der Tanz beginnt diskret: Männer laden Frauen ein, oft mit einem kaum sichtbaren Kopfnicken. Sie tanzen gegenüber, Hand in Hand, oft mit einem weißen Taschentuch verbunden – Symbol für Reinheit und gegenseitigen Respekt. Zwei hüpfende Schritte nach vorn, einer zurück – so entsteht die charakteristische Bewegung, die dem Tanz seinen Namen gibt („Sousta“ bedeutet „Feder“ oder „Sprungmechanismus“).

Nicht nur bei Hochzeiten war die Sousta gesellschaftliches Zentrum – auch sonntags auf dem Dorfplatz wurde sie getanzt, oft begleitet von spontanen Gesängen, Musikern mit Violine oder Lyra, und dem Applaus der Zuschauer. Wer besonders anmutig tanzte, konnte mit Geldscheinen oder Münzen belohnt werden – ein Ausdruck der Bewunderung und eine Spende für die Dorfkirche.

Mit dem Aufstieg des Syrtos zum Nationaltanz hat die Sousta vielerorts an Präsenz verloren. In Schulcurricula kommt sie kaum noch vor. Doch in abgelegenen Dörfern und bei besonderen Festen lebt sie weiter – getanzt von jenen, die sich an die alte Zeit erinnern und sie an die nächsten Generationen weitergeben möchten.

Für Reisende bietet sich dabei ein einzigartiger Einblick in eine gelebte Tradition. Wer Glück hat, kann auf Rhodos, Leros oder Symi eine Hochzeit oder ein Dorffest miterleben – und dort die Sousta in ihrer authentischen, ungeprobten Schönheit sehen: ein Tanz, der mehr sagt als Worte, getragen von Geschichte, Gefühl und Gemeinschaft.

Reisetipp:
Erleben Sie die Sousta live bei einem Sommerfest auf den Dodekanes-Inseln. Besonders die Orte Chalki, Karpathos oder das südliche Küstendorf Kattavia auf Rhodos bieten authentische Aufführungen. Fragen Sie vor Ort nach einem „Panigyri“ – einem traditionellen Dorffest – und lassen Sie sich von Musik, Tanz und Herzlichkeit mitreißen. (pv)

Foto: psyberartist – https://www.flickr.com/photos/psyberartist/10093293855, CC BY 2.0, wikimedia.org