Im Schatten des Ölbergs: Das Mariengrab in Jerusalem als jahrhundertealter Wallfahrtsort

Am Fuße des Ölbergs, eingebettet ins Kidrontal, ruht ein Ort von tiefster spiritueller Bedeutung: das Mariengrab. Seit Jahrhunderten pilgern Gläubige an diese heilige Stätte, die nach altkirchlicher Tradition als letzte Ruhestätte Marias, der Mutter Jesu, gilt. Die Grabeskirche selbst ist ein eindrucksvolles Zeugnis wechselvoller Geschichte, frommer Verehrung und interkonfessioneller Zusammenarbeit.
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos

Götter & Gelehrte/Jerusalem – Bereits im 4. Jahrhundert wurde hier eine kleine Kirche errichtet, die den heiligen Ort schützen und ehren sollte. Sie blieb jedoch nicht unberührt von den historischen Umbrüchen, die Jerusalem prägten. Im 12. Jahrhundert waren es die Kreuzfahrer, die die Kirche restaurierten und erweiterten, wodurch sie ihren heutigen Charakter erhielt. Doch die Eroberung Jerusalems durch Saladin brachte Zerstörung – nur die Krypta blieb erhalten.

Diese unterirdische Grabkammer ist es, die bis heute als spirituelles Zentrum der Verehrung dient. Dass sie trotz der politischen Umstürze und religiösen Differenzen überdauern konnte, ist auch dem Umstand zu verdanken, dass Maria, im Islam als Maryam verehrt, eine bedeutende Rolle in der islamischen Glaubenswelt spielt.

Heute befindet sich das Mariengrab unter der Obhut der griechisch-orthodoxen und der armenisch-apostolischen Kirche. Weitere orthodoxe Gemeinschaften, darunter die syrisch-orthodoxe, koptisch-orthodoxe und äthiopisch-orthodoxe Kirche, haben das Recht zur Mitbenutzung. Die tief in den Fels eingelassene Krypta, die man über eine steile Treppe erreicht, birgt nicht nur das Grab Marias, sondern auch die Ruhestätten ihrer Eltern Joachim und Anna sowie die ihres Mannes Josef.

Besonders in den Tagen vor dem Fest Mariä Himmelfahrt füllt sich das Mariengrab mit Pilgern aus aller Welt. Jährlich findet eine feierliche Prozession nach julianischem Kalender statt, bei der eine Nachbildung des „Leichnams Marias“ durch die Stadt zum Grab getragen wird. Diese Tradition ist Ausdruck tiefster Ehrfurcht und erinnert an den Glauben der orthodoxen Christen, dass Maria nach kurzer Zeit im Grab in den Himmel aufgenommen wurde.

Die Frage nach dem Ort ihres irdischen Todes bleibt indes umstritten. Nach einer alten Jerusalemer Tradition soll Maria auf dem Berg Zion im Kreise der Jünger verstorben sein. Diese Vorstellung findet sich in der römisch-katholischen Dormitio-Kirche auf dem Zionsberg wieder, die an das „Entschlafen Mariens“ erinnert.

Eine andere, weitaus jüngere Hypothese verortet Marias letztes irdisches Kapitel in Ephesus, in der heutigen Türkei. Dort wurde 1891 das sogenannte Marienhaus entdeckt, das seit 1951 offiziell als katholische Wallfahrtsstätte anerkannt ist. Ein Plenarablass kann dort seit 1961 gewährt werden – eine Ehre, die dem Mariengrab in Jerusalem einst ebenfalls zuteil wurde, jedoch bereits 1896 durch Papst Leo XIII. aufgehoben wurde.

Unabhängig von theologischen Debatten und historischen Unsicherheiten bleibt das Mariengrab ein bedeutsamer Wallfahrtsort und Symbol der tief verwurzelten Marienverehrung. Zwischen den Mauern dieser heiligen Stätte verweben sich Geschichte, Glauben und Tradition zu einem Ort, der Pilger und Gläubige aus aller Welt anzieht und in seiner Stille Zeugnis ablegt von der unvergänglichen Verehrung der Mutter Christi. (jk)

Foto: Hellas-Bote

 

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