Regierung setzt sich durch – Griechenland reformiert Arbeitszeitrecht

Als das Ergebnis der Parlamentsabstimmung aufleuchtete, brandeten Beifall und Buhrufe fast zeitgleich durch das Plenum: 158 Ja-Stimmen, 109 Nein-Stimmen, zahlreiche erhobene Fäuste. Nach monatelangen hitzigen Auseinandersetzungen hat Griechenland ein neues Arbeitsgesetz verabschiedet, das landesweit Wellen schlägt – ein Gesetz, das den Namen „Fair Work for All“ trägt, aber von vielen als „Tor zur Ausbeutung“ bezeichnet wird.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou

Aktuell – Die Reform, die in der Nacht zum 16. Oktober mit knapper Mehrheit angenommen wurde, erlaubt es Beschäftigten in bestimmten Sektoren, an begrenzten Tagen im Jahr bis zu 13 Stunden zu arbeiten. Was technisch betrachtet eine „freiwillige Flexibilisierung“ sein soll, empfinden viele als Angriff auf den Achtstundentag – eine Säule der modernen Arbeitskultur seit über einem Jahrhundert.

Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis und die Regierungspartei Neue Demokratie sprechen von einem „Schritt in die Zukunft“, der Griechenlands Arbeitsmarkt an die „dynamischen Bedürfnisse moderner Wirtschaftsräume“ anpasse. Kritiker hingegen sehen in dem Gesetz eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit – zugunsten der Unternehmen. Arbeitsministerin Niki Kerameus, die das Gesetz verteidigt, betonte in einer eindringlichen Parlamentsrede, der Ausdruck „13-Stunden-Tag“ sei „bewusst verzerrend“. Nur an maximal 37 Tagen im Jahr – also durchschnittlich drei Mal pro Monat – könne diese Regelung überhaupt greifen. Außerdem sei sie „völlig freiwillig“ und bedürfe der Zustimmung der Arbeitnehmer. Niemand, so Kerameus, dürfe deshalb entlassen werden oder Nachteile erfahren.

Die Standardarbeitszeit bleibe, zumindest auf dem Papier, bei 40 Stunden pro Woche. Auch die Obergrenze von 48 Wochenstunden im Durchschnitt über vier Monate hinweg bleibe unberührt. Überstunden sollen weiterhin mit 40 Prozent Zuschlag vergütet werden, bis zu einem Limit von 150 Stunden pro Jahr. Doch was für die Regierung nach „gerechter Balance zwischen Flexibilität und Schutz“ klingt, weckt bei Gewerkschaften tiefes Misstrauen.

Denn während die Regierung auf Modernisierung pocht, brennt auf den Straßen Athens, Thessalonikis und Patras der Protest. In der Woche nach der Abstimmung legten landesweite Streiks den öffentlichen Dienst lahm, Busse und Bahnen fuhren nur eingeschränkt, Lehrer und Krankenhauspersonal hielten Mahnwachen. Die Gewerkschaften ADEDY und GSEE nannten das Gesetz „eine Legitimierung der Selbstausbeutung“. Sie warnen davor, dass Arbeitnehmer unter Druck geraten könnten, „freiwillig“ längere Schichten anzunehmen – aus Angst, sonst ihre Stelle zu verlieren.

Ein Blick in die Gesetzesdetails zeigt, dass vor allem Branchen betroffen sind, in denen saisonale oder unregelmäßige Arbeit üblich ist: Landwirtschaft, Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel und Fertigung. Die Regierung argumentiert, hier fehle es häufig an Personal, vor allem in touristischen Hochzeiten. Durch längere Arbeitstage könne die Produktivität steigen, ohne neue Arbeitskräfte einstellen zu müssen.

Gleichzeitig betont das Ministerium, dass das Gesetz keineswegs für alle gilt. Supermärkte, große Handelsketten und staatliche Einrichtungen seien von der Regelung ausgenommen. Die Maßnahme solle gezielt dort greifen, „wo Arbeitskräfte dringend gebraucht werden“. In den Cafés von Athen jedoch wird nicht über Produktivität gesprochen, sondern über Prinzipien. Viele Griechen erinnern sich noch an die Sparpolitik der 2010er Jahre, als Arbeitsrechte beschnitten und Löhne eingefroren wurden. Für sie steht „Fair Work for All“ nicht für Gerechtigkeit, sondern für ein Déjà-vu – eine Rückkehr zu Zeiten, in denen wirtschaftlicher Druck über soziale Errungenschaften triumphierte.

Doch es gibt auch Stimmen, die das Gesetz begrüßen. Einige Unternehmer in der Tourismusbranche sprechen von „überfälliger Realität“. In den Sommermonaten, so argumentieren sie, gebe es ohnehin kaum eine Alternative, um der Flut an Touristen zu begegnen. „Wir brauchen Flexibilität, keine Fesseln“, sagt etwa ein Hotelier auf Santorini. „Wenn ein Mitarbeiter freiwillig länger bleibt und dafür gut bezahlt wird – wo liegt das Problem?“

So markiert das Gesetz einen Wendepunkt, nicht nur juristisch, sondern gesellschaftlich. Es rührt an die Frage, wie viel Freiheit in der Arbeit wirklich Freiheit bedeutet – und wie viel davon ökonomischer Zwang ist. Noch ist unklar, wie das Gesetz im Alltag umgesetzt wird. Erste Prüfungen und Berichte sind für Anfang 2026 geplant. (mv)

Foto: Hellas-Bote