Nikos Kavvadias – „Die Übersetzung muss auch wissenschaftlichen Kriterien standhalten.“

„So etwas wünscht man vielen griechischen Büchern, damit die deutschsprachige Leserschaft mit den Ereignissen der neugriechischen Geschichte nicht alleine gelassen wird. … Die griechische Bibliographie rundet den Band ab. Er hat das Zeug, ein Standardwerk zu Kavvadias zu werden“, so eine Rezension auf diablog.eu. Grund genug um den Übersetzer Felix Leopold selbst einmal zu Wort kommen zu lassen. 

Literatur – Sie haben uns hier ein beeindruckendes Werk präsentiert: „Die drei Gedichtbände des griechischen Seemannsdichters Nikos Kavvadias“. Sie sind ja eigentlich Musiker und nicht über ein Sprachstudium zum Übersetzer geworden. Wie kam das und wodurch wurden Sie denn auf diesen so außergewöhnlichen Dichter aufmerksam gemacht?

Durch die Musik. Seit der Ära Theodorakis ist es in Griechenland Tradition, Gedichte zu vertonen. Und da Nikos Kavvadias sehr rhythmisch und musikalisch geschrieben hat, wurden auch mehr als die Hälfte seiner Gedichte zu fantastischen Liedern. Schon während der 1990er Jahre hatte ich zwei oder drei dieser Lieder in meinem eigenen Bühnenrepertoire und war damals schon überrascht, wie gut diese beim griechischen Publikum ankamen.

Und wie wird man dann vom Sänger zum Übersetzer?

2010 hatte ich die Idee, das Klischee der griechischen Musik etwas aufzubrechen, dem deutschen Publikum das poetische Liedgut Griechenlands näherzubringen und begann Lieder verschiedener Komponisten, Texter und Liedermacher ins Deutsche zu übertragen. Dieses Projekt nannte ich „Liederlyrik in zwei Sprachen“. 2013 stellte ich einen Liederzyklus mit dem Titel „Lieder vom Meer“ zusammen, dessen Fundament 8 Gedichte des Nikos Kavvadias‘ bildeten. Die Tonaufnahmen meiner deutschen Versionen schickte ich zu den verantwortlichen Komponisten, Thanos Mikroutsikos und Dimitris Zervoudakis, und bat um ihre Meinung hierzu. Unabhängig voneinander fragten mich beide, ob ich denn nicht alle Gedichte übersetzen und als Buch veröffentlichen wolle. Damals erschien mir diese Aufgabe noch eine Nummer zu groß, und außerdem konnte ich mir auch gar nicht vorstellen, dass dieser so extrem wichtige Dichter noch nicht übersetzt worden war. Doch als ich herausfand, dass bis dahin nur Maria Zafòn den Kurzroman „Βάρδια – Schiffswache“ übersetzt hatte, begann sich bei mir der Gedanke festzusetzen, „wenn ich es nicht mache, dann macht es niemand“. Mit der konsequenten Arbeit an den Gedichten habe ich dann jedoch erst 2016 begonnen.

Aber zwischen dem Übertragen von Liedern und dem Übersetzen von Gedichten besteht doch ein großer Unterschied …

Das ist richtig. Die Übersetzung muss auch wissenschaftlichen Kriterien standhalten.

Zuerst einmal habe ich alle Gedichte rein inhaltlich übersetzt, dabei alle etymologischen und historischen Recherchen betrieben und sämtliche mir notwendig erscheinenden Fußnoten gesetzt. Da ich immer nur während der Wintermonate konsequent schreiben kann, hat das ca. zwei Jahre gedauert. Bei dieser Arbeit habe ich dann auch festgestellt, wie nah mein Denken dem des Nikos Kavvadias‘ ist, und mein Glaube daran, es wirklich schaffen zu können, wurde zur Überzeugung.

Und dann haben Sie alle Übersetzungen nochmal in Gedichte umgeschrieben?

Ja, genau das war auch mein Ziel. Ich wollte, dass auch die deutschen Übersetzungen Gedichte sind und habe versucht, das Reimschema so gut wie möglich beizubehalten.

Aber hat Sie das beim Schreiben denn nicht erheblich eingeengt?

Könnte man meinen. Denn es ist schon richtig, dass das Reimen den zur Verfügung stehenden Wortschatz sehr stark einschränkt. Jedoch zwingt einen die Suche nach dem richtigen Wort und der richtigen grammatikalischen Wendung auch, permanent darüber nachzudenken, was man exakt schreiben will. Denn ein Reim sollte natürlich nicht aufgrund eines inhaltlichen Kompromisses entstehen. Und genau deshalb brauchte ich auch jemanden, der mir meine Übersetzungen lektoriert. Zum Glück hat diese Aufgabe meine liebe Freundin Sophia Georgallidis übernommen. Mit einer unglaublichen Akribie hat sie wirklich jedes Wort umgedreht und mich immer wieder zur Exaktheit ermahnt. Diese Zusammenarbeit war extrem befruchtend und hat mich beim Umgang mit der deutschen Sprache zur äußersten Kreativität getrieben. Und aus Versehen habe ich mich dabei auch dem Schreibstil Kavvadias‘ angenähert. Das war toll!

Können Sie uns hier ein Beispiel geben?

Zur Zeit Kavvadias‘ wurde auf den Schiffen ein Slang gesprochen, der auf dem Italienischen basierte. Kavvadias hat z.B. dem italienischen Verb „arrivare“ einfache eine griechische Endung angehängt und schuf so das Wort „αρριβάρω“. Das gleiche habe ich auch gemacht, als ich unbedingt das Verb zum Akrobaten brauchte. Ich habe dem griechischen Original „ακροβατώ“ eine deutsche Endung angehängt und dabei kam das Wort „akrobatieren“ heraus. Jeder versteht es, obwohl der Duden sagt, dass es dieses Wort nicht gibt. Zugegeben habe ich hierbei Glück gehabt, dass „Akrobat“ ohnehin etymologisch ein griechisches Wort ist.

Ließen sich die Gedichte weitgehend direkt übersetzen oder mussten Sie viel interpretieren?

Im Nachhinein bin ich selbst überrascht, wie wenig ich interpretierend eingreifen musste. Hierbei fällt mir eine Stelle ein, bei der die direkte Übersetzung gelautet hätte „Die Kulis mit ihrem blöden Aussehen“. Da es dem Kavvadias jedoch fernliegt, diese von schwerer Arbeit gebeugten Träger zu entwürdigen oder gar zu beleidigen, wollte ich das nicht so stehenlassen und habe geschrieben „Die Kulis mit ihrer so schwer geplagten Haltung“. Auf jeden Fall durfte ich wieder feststellen, dass Deutsch und Griechisch sich viel näher sind, als man glaubt und eigentlich verwandte Sprachen sind.

Und da die griechische Sprache die deutsche sehr stark beeinflusst hat, kann ich sogar behaupten, dass ich durch diese Übersetzungsarbeit meine Muttersprache noch besser und tiefer kennengelernt habe.

Da Sie ja kein gelernter Übersetzer sind, war es bestimmt eine besondere Herausforderung, sich diesem Werk zu stellen. Möchten Sie uns zum Schluss noch etwas über Ihre persönliche Motivation erzählen?

Im Vorwort des Buches habe ich geschrieben, dass mich sein Denken sehr fasziniert, diese Weltsicht, die wohl vielen Weitgereisten gemein ist, dass diese Reisen in entfernte Länder, zu fremden Sprachen und Kulturen das Ich relativieren und es immer mehr aus dem eigenen Mittelpunkt in die große Lebensmasse hineinrücken. Dadurch nimmt der Egoismus ab und auch der Zwang, sich stetig beweisen und seine Position erkämpfen zu müssen. Mir ist das sehr nahe. Denn auch ich lebe seit mehr als die Hälfte meines Lebens vorwiegend mit Menschen zusammen, die eine andere Muttersprache sprechen.

Und durch die Musik bin auch ich sehr viel auf Reisen, treffe in irgendwelchen Restaurants oder Kneipen auf Menschen, die mir ihr Herz öffnen und reden … vielleicht auch gerade, weil sie mich wohl nie wiedersehen werden. Wer weiß, wäre ich nicht auf sein Werk gestoßen, vielleicht hätte auch ich irgendwann mal ähnliche Gedichte und Geschichten geschrieben, wie Nikos Kavvadias. Und es gibt da noch eine Zufälligkeit, die uns verbindet. Kavvadias schrieb, dass es für ihn nur einen Ort gab, an dem er wohl für immer geblieben wäre, hätte er nur die richtige Frau gefunden. In Thessaloniki. Und zwar in einer bestimmten Nachbarschaft, dem sogenannten „Depot“ bei Kalamaria. Und genau dort lebe ich mit meiner Frau seit über 20 Jahren. (opm)


Felix Leopold
Die drei Gedichtbände des griechischen Seemannsdichters Nikos Kavvadias
24,00 Euro inkl. MwSt
Taschenbuch | Lyrik
deutsch-griechisch
276 Seiten
ISBN 978-3-944514-51-2
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Foto: Kater Literaturverlag