Wer München besucht, denkt zunächst an Biergärten, Barock und Bauhaus. Doch mitten im Kunstareal, am klassizistischen Königsplatz, schlägt ein Herz für die griechische Antike – und zwar mit voller Leidenschaft: Die Glyptothek, eines der bedeutendsten Museen für antike Skulptur in Europa, führt ihre Besucher direkt in die geistige Welt des antiken Griechenlands. Hier wird Geschichte nicht nur bewahrt, sondern mit Staunen erlebt.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Aktuell/Kunst & Kultur – Errichtet zwischen 1816 und 1830 im Auftrag des kunstbesessenen Kronprinzen und späteren Königs Ludwig I. von Bayern, ist das Museum selbst ein Denkmal für die Wiederentdeckung der griechischen Antike. Mit dem Begriff „Glyptothek“ – einem Kunstwort aus dem Altgriechischen für „Skulpturen-Aufbewahrungsort“ – bekannte sich Ludwig I. klar zu seiner hellenistischen Vision: Er wollte die Kunst der Griechen nach München holen, um die Menschen in Deutschland für die Werte, die Schönheit und die Humanität der antiken Welt zu begeistern.
Und dies tat er mit Akribie und Weitsicht: Bereits 1813 ließ er über seinen Agenten Johann Martin von Wagner die Giebelfiguren des Aphaiatempels von Ägina – die berühmten Ägineten – direkt aus Griechenland erwerben. Diese archaischen Meisterwerke zählen bis heute zu den Glanzlichtern der Glyptothek. Ebenso der Münchner Kouros, ein jugendlicher Jüngling aus Attika, oder der Apoll von Tenea aus dem Raum Korinth – frühe Zeugnisse griechischer Bildhauerkunst, deren idealisierte Körperformen bis in unsere Zeit nachwirken.
Die Sammlung reicht von der archaischen über die klassische bis in die hellenistische Periode – ergänzt durch römische Kopien und Porträts antiker Herrscher. Zu den Highlights gehören der sinnlich ruhende Barberinische Faun (ca. 220 v. Chr.), das Bildnis des Homer, die Medusa Rondanini oder die anrührend realistische Darstellung der Trunkenen Alten. In jedem Werk spiegelt sich der Geist griechischer Kultur: das Streben nach Harmonie, das Spiel zwischen Pathos und Perfektion, das menschliche Maß.
Das Museum selbst – ein klassizistischer Bau von Leo von Klenze – ist ein architektonisches Zitat eines griechischen Forums. Der monumentale Säulenportikus, die Giebelfiguren der Athena, die mythologisch geschmückte Fassade und der Innenhof verweisen bewusst auf Athen. München wurde mit der Glyptothek ein „neues Hellas“, eine Bildungslandschaft nach antikem Vorbild – ganz im Sinne Ludwigs I., der in einer legendären Inschrift im Vestibül die Gründung der Glyptothek auf Griechens Skulpturenruhm zurückführt.
Auch heute noch ist das griechische Erbe hier lebendig. Die Generalsanierung von 2018 bis 2021 brachte das Haus auf modernsten Standard, ohne den klassizistischen Charakter zu beeinträchtigen. Belohnt wurde dies mit dem Bernhard Remmers Preis und dem Fassadenpreis der Stadt München.
Wer durch die lichtdurchfluteten Säle wandert, begegnet nicht nur antiken Göttern, Heroen und Philosophen – man begegnet der Seele Griechenlands selbst. Ein Besuch in der Glyptothek ist deshalb nicht nur ein Kunstgenuss, sondern eine stille Reise zurück an die Wiege Europas.
Reise-Tipp: Kombinieren Sie den Besuch mit den benachbarten Staatlichen Antikensammlungen, dem Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke und dem Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst – für eine einzigartige Reise durch die Welt der Antike, ganz ohne das Mittelmeer überqueren zu müssen.
Infobox:
Ort: Königsplatz, Kunstareal München
Eröffnung: 1830
Griechischer Bezug: Originalskulpturen aus Ägina, Tenea, Attika u.v.m.
Highlights: Barberinischer Faun, Münchner Kouros, Ägineten
Architektur: Klassizistischer Bau von Leo von Klenze
Empfehlung: Audioguide oder Führung zur griechischen Sammlung (sk)
