Digitale Kindheit auf Pause – Griechenland zieht die Reißleine bei Social Media

Ein Sommer endet – und mit ihm auch ein Stück digitaler Freiheit für griechische Jugendliche. Ab Ende Oktober wird Griechenland das erste Land der Europäischen Union sein, das Minderjährigen unter 16 Jahren den Zugang zu sozialen Medien vollständig untersagt.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou

Aktuell – Die Maßnahme, die europaweit für Aufsehen sorgt, wird über eine staatliche Anwendung namens „Kids Wallet“ realisiert – eine App, die künftig über den Alltag junger Nutzerinnen und Nutzer entscheiden dürfte. Mit einem Schlag sollen Plattformen wie Instagram, TikTok, Facebook und X für unter 16-Jährige unerreichbar werden. Das System erkennt, ob ein Gerät auf eine minderjährige Person registriert ist – und blockiert automatisch den Zugang zu den beliebtesten sozialen Netzwerken. Auch für über 16-Jährige bleibt der digitale Alltag nicht unbeeinträchtigt: Inhalte rund um Glücksspiel, Alkohol, Tabakwaren und Pornografie werden künftig bis zum 18. Geburtstag gesperrt. Selbst Dating-Plattformen wie Tinder fallen unter das neue Regelwerk.

Premierminister Kyriakos Mitsotakis erklärte in Athen, sein Land wolle „die psychische Gesundheit junger Menschen schützen und den endlosen Strudel des Scrollens unterbrechen“. Es gehe nicht darum, Jugendliche zu bevormunden, sondern sie zu entlasten. Die technische Grundlage stammt aus einer Kooperation mit der Europäischen Kommission, die schon seit Monaten an einem EU-weiten Rahmen für digitale Altersverifikation arbeitet. Griechenland gilt dabei als Testfeld für ein Modell, das den Fokus nicht auf die Plattformen selbst legt, sondern auf die Geräte, über die der Zugriff erfolgt. Während andere Länder wie Australien vor allem auf die Eigenverantwortung der Anbieter setzen, übernimmt in Griechenland der Staat die Kontrolle.

„Kids Wallet“ funktioniert wie eine digitale Alterswächterin: Wird ein Smartphone als „Jugendgerät“ registriert, prüft das System bei jeder Internetverbindung automatisch, ob der aufgerufene Dienst erlaubt ist. Eltern sollen zugleich die Möglichkeit erhalten, bestimmte Funktionen temporär freizugeben – etwa für Lernplattformen oder Kommunikationsdienste.

Auch in Brüssel wird genau hingeschaut. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bestätigte, dass neben Griechenland auch Frankreich, Spanien, Dänemark und Italien an nationalen Versionen der Alters-App arbeiten. Ziel sei eine einheitliche Lösung, die sich langfristig in allen Mitgliedstaaten anwenden lasse. Von der Leyen lobte das griechische Vorgehen als „mutigen Schritt in eine neue Ära der digitalen Verantwortung“.

Doch in den Straßen von Athen und Thessaloniki wird die Entscheidung kontrovers diskutiert. Jugendliche befürchten den Verlust ihrer digitalen Treffpunkte, während Lehrer und Psychologen Chancen sehen: weniger Ablenkung, weniger Druck durch Likes, mehr Fokus auf das reale Miteinander. „Vielleicht lernen wir wieder, uns richtig zu begegnen“, sagt eine Lehrerin aus Patras, „aber der Preis ist hoch – Freiheit gegen Fürsorge.“ Ob Griechenlands radikaler Schritt Schule macht, bleibt offen. Doch schon jetzt steht fest: Mit der Einführung der „Kids Wallet“ betritt Europa Neuland. Das Experiment könnte zum Vorbild – oder zur Warnung – für den gesamten Kontinent werden. (mv)

Foto: Luisella Planeta LOVE PEACE/Pixabay