Ein lauer Sommerabend am Rhein. Der Tanzbrunnen glüht in orangefarbenem Licht, das Publikum schwankt zwischen Vorfreude und Ehrfurcht – dann ein gellender Schrei. Keine Begrüßung, keine Einleitung. Nur Iggy Pop, der plötzlich auf der Bühne steht, als wäre er aus einer Parallelwelt gefallen, in der Schwerkraft und Alter keine Rolle spielen.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Magazin – Er ist 78. Und er ist ein Tier. Was Iggy Pop gestern in Köln geboten hat, war kein Konzert. Es war ein körperlicher Ausnahmezustand. Vom ersten Ton an wirkte es, als würde er sich selbst zerreißen – jeder Song ein Ausbruch, jeder Takt eine Drohung. Er wirkte gleichzeitig heillos und komplett bei sich. Es war das Paradoxon, das ihn seit Jahrzehnten ausmacht: totale Entfesselung in exakt gezieltem Chaos.

Die Setlist? Nebensache. Klassiker wie „I Wanna Be Your Dog“ und „Search and Destroy“ donnern durchs Rund, aber auch Songs vom neuen Album Every Loser brennen sich ohne Umwege in die Gehörgänge. Der Sound ist dreckig, direkt, lebendig. Keine digitalen Überreste, keine Hochglanzproduktion – sondern echte, rohe Energie.
Die Menge: elektrisiert. Es ist ein Querschnitt der Generationen, aber keine spielt hier Touristen. Jeder ist gekommen, um sich mitnehmen zu lassen – und Iggy nimmt alle mit. Mal brüllt er ins Publikum, mal stolpert er wie benommen über die Bühne, als ob seine Knochen nicht mehr wissen, dass sie aus Fleisch sind. Und dann lacht er. Ein breites, unverschämtes Lachen. Fast kindlich.
Was bleibt nach einem Abend wie diesem? Sicher nicht bloß die Erinnerung an ein gutes Konzert. Sondern an einen Moment, in dem jemand auf der Bühne nicht nur Musik macht, sondern sich selbst in Frage stellt – und trotzdem steht. Iggy Pop ist keine Ikone. Ikonen sind starr, aus Stein. Er ist aus Schweiß, Widerspruch und Haltung gemacht. Und vielleicht ist genau das Punk: nicht alt werden, sondern wahr bleiben.
Wer geglaubt hat, Iggy Pop sei gekommen, um sich feiern zu lassen, lag falsch. Er ist gekommen, um etwas zu zerstören: Routine, Erwartung, die Vorstellung davon, wie ein Mensch in seinem Alter zu funktionieren hat. Und das Publikum? Es dankte es ihm mit Ekstase. Köln verneigt sich – schweißnass, lächelnd, atemlos. Ein Abend, der nicht in Erinnerung bleibt wie ein schöner Film – sondern wie ein Faustschlag mit offenem Herzen. (sk)
