Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass die Rückführung von alleinstehenden, erwerbsfähigen und nichtvulnerablen männlichen Flüchtlingen nach Griechenland nicht gegen europäische Grundrechte verstößt.
Von HB-Redakteurin Maria Vlachou
Aktuell – Die Richterinnen und Richter in Leipzig urteilten, dass in dem südeuropäischen EU-Mitgliedstaat keine „unmenschlichen oder erniedrigenden Lebensbedingungen“ herrschen, die eine Verletzung von Artikel 4 der EU-Grundrechtecharta (GRC) bedeuten würden. Mit seinem Urteil (Az. BVerwG 1 C 11.25) vom 23. Oktober 2025 bestätigte das höchste deutsche Verwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung. Bereits im April 2025 hatte das Gericht in zwei ähnlich gelagerten Fällen (BVerwG 1 C 18.24 und 1 C 19.24) eine entsprechende Linie vertreten.
Im Mittelpunkt der aktuellen Entscheidung stand ein im Januar 1996 geborener syrischer Staatsangehöriger. Ihm war in Griechenland bereits internationaler Schutz zuerkannt worden – er durfte sich also dort legal aufhalten und war als Schutzberechtigter anerkannt. Dennoch reiste er im Juni 2018 nach Deutschland ein und stellte dort erneut einen Asylantrag.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag als unzulässig ab und ordnete die Rückführung nach Griechenland an. Die daraufhin eingereichte Klage blieb sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof bestätigte, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Griechenland keine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohe. Der Mann legte Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein – ohne Erfolg. Das Leipziger Gericht bestätigte nun die Einschätzung der Vorinstanzen: Die Lebensbedingungen in Griechenland für arbeitsfähige, alleinstehende Männer, die nicht als besonders schutzbedürftig gelten, seien zwar einfach, aber nicht menschenunwürdig.
Das Gericht stellte fest, dass Rückkehrer in Griechenland grundsätzlich in der Lage seien, ihre elementaren Grundbedürfnisse – Unterkunft, Ernährung und Hygiene – zu sichern. Auch wenn es nicht immer einfach sei, eine reguläre Unterkunft zu finden, könnten Betroffene auf verschiedene staatliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen zurückgreifen. Sollte kein Platz in einem offiziellen Aufnahmezentrum verfügbar sein, sei es den Schutzberechtigten zumutbar, auf sogenannte Notschlafstellen oder behelfsmäßige Unterkünfte auszuweichen – etwa in Zeltlagern, Containern oder einfachen Camps mit minimaler sanitärer Ausstattung.
Darüber hinaus könnten Rückkehrer laut dem Gericht „durch eigene Erwerbstätigkeit, zumindest in der Schattenwirtschaft, ihren Lebensunterhalt sichern“. Zusätzlich stünden ihnen Unterstützungsleistungen von Hilfsorganisationen und Gemeinschaften innerhalb der jeweiligen Diaspora offen. Die Leipziger Richter betonten, dass die Schwelle zur Annahme einer Verletzung von Artikel 4 GRC – also dem Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung – sehr hoch liege. Eine gewisse materielle Not oder ein Leben am Rande der Armutsgrenze genüge nicht, um diese Schwelle zu überschreiten.
Mit der Entscheidung sendet das Bundesverwaltungsgericht ein klares Signal an die Asylpraxis in Deutschland. Abschiebungen von Flüchtlingen, die in einem anderen EU-Staat bereits Schutzstatus erhalten haben, bleiben grundsätzlich möglich – solange keine außergewöhnlichen individuellen Umstände vorliegen. Rechts- und Migrationsfachleute werten das Urteil als Bestätigung der sogenannten Dublin-Regelungen innerhalb der EU. Diese sehen vor, dass jener Mitgliedstaat für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem die Schutzsuchenden erstmals europäischen Boden betreten oder registriert werden.
Griechenland ist aufgrund seiner geografischen Lage an der südöstlichen Außengrenze der EU für viele Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder afrikanischen Staaten die erste Anlaufstelle. Seit Jahren steht das Land wegen überfüllter Aufnahmelager, schwieriger sozialer Bedingungen und unzureichender Integrationsmöglichkeiten in der Kritik. Das Bundesverwaltungsgericht verweist jedoch darauf, dass sich die allgemeine Lage in Griechenland in den vergangenen Jahren verbessert habe. Staatliche und nichtstaatliche Organisationen hätten die Unterstützung für Schutzberechtigte deutlich ausgeweitet, sodass keine systemischen Mängel mehr bestünden, die eine generelle Rückführung verbieten würden.
Das Urteil dürfte die Verwaltungspraxis des BAMF stärken und künftige Verfahren beschleunigen. Für Flüchtlinge, die bereits in Griechenland oder einem anderen EU-Staat Schutzstatus besitzen, wird es damit schwieriger, in Deutschland erneut Asyl zu erhalten. Gleichzeitig verdeutlicht das Urteil, dass das deutsche Rechtssystem zwischen besonders schutzbedürftigen Gruppen – etwa Familien, Minderjährigen oder Traumatisierten – und nichtvulnerablen Einzelpersonen unterscheidet. Nur bei nachweislich außergewöhnlichen Umständen könnte eine Rückführung nach Griechenland künftig noch verhindert werden. (mv)

