Auf den Spuren Griechenlands in Afrika: Kyrene – Antike Schönheit zwischen Mythos und Geschichte

Inmitten des heutigen Libyens, eingebettet in die fruchtbare Hochebene des al-Dschabal al-Achdar, liegt eine der eindrucksvollsten Hinterlassenschaften griechischer Kultur außerhalb Griechenlands: Kyrene. Diese antike Stadt, heute UNESCO-Weltkulturerbe, war nicht nur die bedeutendste Polis der Kyrenaika, sondern auch ein leuchtendes Beispiel für den Einfluss hellenistischer Zivilisation auf Nordafrika.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Reisen – Gegründet um 630 v. Chr. von Siedlern der kykladischen Insel Thera – dem heutigen Santorin – brachte Kyrene die griechische Lebensart, Philosophie und Architektur in eine neue Welt. Der mythische Stadtgründer Battos I. wird ebenso genannt wie Herodot, der 200 Jahre später die frühen Legenden der Stadt in seinen Historien verewigte. Diese Herkunft prägt die Identität der Stadt bis heute – nicht nur in Ruinen und Inschriften, sondern auch in ihrem Namen, der einer ganzen Region (Kyrenaika) erhalten blieb.

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Kyrene war nicht nur ein strategisch günstiger Handelsplatz mit Zugang zum Mittelmeer über den Hafen Apollonia, sondern auch ein intellektuelles Zentrum. Hier wirkte Eratosthenes, der erste, der den Erdumfang berechnete. Ebenso stammen Philosophen wie Aristipp, Gründer der Kyrenaikerschule, sowie seine Tochter Arete und der Skeptiker Karneades aus dieser Stadt. Die griechische Bildungstradition prägte das Denken Kyrenes weit über seine Blütezeit hinaus.

Reisende können heute die Überreste einer faszinierenden Stadt besichtigen. Der Apollontempel – Herzstück der Stadt und Symbol griechischer Religiosität – ragt bis heute imposant in den Himmel. Daneben zeugen der Tempel der Artemis, der monumentale Zeustempel (größer als der Parthenon!) und die weitläufige Agora von der einstigen Pracht der Stadt. Die Trajansbäder, das Theater am Nordhang und die weitläufige Nekropole laden zum historischen Spaziergang durch eine vergangene Welt ein.

Auch das frühe Christentum hinterließ Spuren in Kyrene. Simon von Kyrene, der das Kreuz Jesu trug, wird in der Bibel namentlich erwähnt – ein Beleg für die vielfältige Rolle der Stadt auch in späterer religiöser Geschichte. Die Überreste mehrerer frühchristlicher Kirchen zeugen vom Wandel Kyrenes in byzantinischer Zeit und machen die Stadt auch für christlich geprägte Kulturtouristen besonders interessant.

Kyrene erzählt eine seltene Geschichte: die einer griechischen Kolonie, die über Jahrhunderte hinweg ihre kulturelle Identität bewahrte und gleichzeitig in engem Austausch mit Ägypten, Rom und afrikanischen Völkern stand. Ihre Architektur, ihre Philosophen und ihre Mythen sind bis heute Ausdruck dieses einzigartigen Erbes.

Reisetipp: Zeitreise durch die Antike
Für historisch interessierte Reisende bietet Kyrene eine faszinierende Zeitreise in das Herz der Antike – mit Blick über fruchtbare Täler, durch Ruinen voller Mythen und entlang von Straßen, auf denen einst Philosophen und Händler wandelten. Die Stätte liegt nahe des heutigen Ortes Shahat, unweit der libyschen Mittelmeerküste – eine Reise dorthin ist ein seltener, dafür aber umso lohnenswerterer Geheimtipp für Freunde griechischer Geschichte. (sk)

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