Agrigent – wo Sizilien griechisch spricht

Agrigent, das heutige Agrigento, erhebt sich an der sonnendurchfluteten Südküste Siziliens wie ein steinernes Zeugnis der Antike. Und obwohl Italienisch die Amtssprache ist, hallt durch Straßen, Säulen und Hügel eine andere Sprache: das Erbe Griechenlands – laut, lebendig und unauslöschlich.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler

Reisen – Bereits im Jahr 582 v. Chr. gründeten Auswanderer aus Gela und Rhodos hier die Stadt Akragas. Es war eine Blütezeit der griechischen Kolonisation, in der Sizilien nicht etwa Randgebiet, sondern ein kultureller Knotenpunkt der hellenischen Welt war. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich Akragas zu einer der mächtigsten und prächtigsten Städte der Magna Graecia. Der berühmte Philosoph Empedokles soll hier geboren worden sein, ein Zeichen für den intellektuellen Reichtum der Polis.

Concoridatempel – Foto: Gemeinfrei, wikimedia.org

Heute noch erzählt das sogenannte „Tal der Tempel“ (Valle dei Templi) – UNESCO-Weltkulturerbe seit 1997 – von jener glanzvollen Epoche. Tempel zu Ehren von Göttern wie Hera, Herakles und insbesondere der Concordia (deren Tempel als besterhaltener dorischer Tempel außerhalb Griechenlands gilt) reihen sich aneinander wie Verse eines Epos aus Stein. Wer durch die antiken Ruinen wandelt, schreitet nicht nur durch Architektur – er bewegt sich durch Jahrtausende Geschichte.

Doch die griechische Präsenz endet nicht im archäologischen Park. Die Kirche Santa Maria dei Greci in der Altstadt Agrigents steht sinnbildlich für die Kontinuität dieses Erbes: Um 1200 über den Fundamenten eines antiken Athenetempels errichtet, diente sie den griechisch-orthodoxen Christen im Mittelalter als zentrale Gebetsstätte. Bis heute sind unterhalb der Kirche dorische Säulenstümpfe sichtbar – ein architektonisches Memento, das byzantinische, mittelalterliche und antike Schichten auf engstem Raum verbindet.

Auch in der Umgebung finden sich Hinweise auf alte Handelsbeziehungen mit der Ägäis. In Cannatello entdeckte man eine befestigte Siedlung aus der mittleren bis späten Bronzezeit, deren Fundstücke – darunter ein Ochsenhautbarren zyprischer Herkunft – von intensivem Austausch mit Kreta, Zypern und der griechischen Inselwelt zeugen. Lange vor der Gründung von Akragas war dieser Küstenstreifen also ein Ort, an dem mediterrane Kulturen miteinander verwoben wurden.

Der Blick zurück wird in Agrigent stets vom Geist der Gegenwart begleitet. Das Mandelblütenfest „Sagra del Mandorlo“, seit 1937 im Tal der Tempel gefeiert, ist Ausdruck lebendiger Tradition und kultureller Begegnung – ein Fest, das wie in griechischer Manier die Natur, das Leben und das Licht zelebriert. Agrigent mag heute italienisch sein, doch seine Seele spricht griechisch – durch Ruinen, Kirchen, Mythen und das leise Rauschen des Scirocco, das über die Tempel weht. (sk)

Foto: Wolfgang Pehlemann, CC BY-SA 3.0, wikimedia.org