Auf der idyllischen griechischen Insel Santorini, wo malerische weiße Häuser auf schroffen Klippen thronen und der Sonnenuntergang über der Ägäis die Touristen in Scharen anzieht, verbirgt sich ein düsteres Kapitel hinter der Postkartenidylle. Es betrifft die Esel, die seit Jahren als treue Lastentiere für den Transport der Besucher dienen. Diese Tiere, einst stolze Symbole der griechischen Kultur und Tradition, leiden unter den harten Arbeitsbedingungen und der schweren Last, die ihnen von der Tourismusindustrie aufgebürdet wird.
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Aktuell – Esel gehören seit Jahrhunderten zur Landschaft Griechenlands. In den engen Gassen und steilen Hügeln der Kykladeninsel Santorini sind sie unverzichtbar. Ursprünglich wurden sie von den Einheimischen genutzt, um Waren und Lebensmittel zwischen den Dörfern zu transportieren. Doch mit dem explosionsartigen Wachstum des Tourismus in den letzten Jahrzehnten hat sich ihre Rolle drastisch verändert.
Täglich tragen die Esel Hunderte von Touristen vom Hafen hinauf nach Firá, der Hauptstadt der Insel. Der Weg, der steil und unwegsam ist, erstreckt sich über rund 600 Stufen. Für die Tiere bedeutet dies Schwerstarbeit – unter glühender Sonne und oft ohne ausreichende Pausen. Viele von ihnen müssen bis zu acht Stunden am Tag arbeiten, ohne ausreichenden Zugang zu Wasser und Futter.
Die Arbeitsbedingungen der Esel stehen in einem scharfen Kontrast zu den schönen Bildern, die die Touristen von ihrem Urlaub mit nach Hause nehmen. Während die Urlauber auf dem Rücken der Tiere eine spektakuläre Aussicht genießen, leiden diese unter schmerzhaften Verletzungen durch schlecht sitzende Sättel und zu schwere Lasten. Es gibt Berichte über blutige Wunden an ihren Rücken und Beinen sowie ausgerenkte Gelenke, die durch die unnatürlich hohe Belastung entstehen.
Die Hitze der griechischen Sommersonne verstärkt das Leid der Tiere. Temperaturen von bis zu 40 Grad Celsius sind keine Seltenheit, und oft gibt es keinen Schatten entlang der steilen Pfade. Die Tiere zeigen häufig Anzeichen von Erschöpfung und Dehydrierung, doch ihre Besitzer treiben sie unbarmherzig weiter an. Esel sind dafür bekannt, dass sie ihre Erschöpfung bis zum Zusammenbruch verbergen – ein Verhalten, das in der freien Wildbahn dazu dient, Schwäche vor Raubtieren zu verbergen. Dies führt jedoch dazu, dass Touristen und auch viele Eselbesitzer die Erschöpfung der Tiere oft unterschätzen.
Santorini lebt vom Tourismus, der das wirtschaftliche Rückgrat der Insel bildet. Die Eselritte, eine jahrhundertealte Tradition, die heute als Touristenattraktion vermarktet wird, sind ein bedeutender Einnahmezweig. Die meisten Touristen sind sich der Leiden der Tiere jedoch nicht bewusst, da sie oft davon ausgehen, dass die Esel robust genug sind, um solche Lasten zu tragen. Dies führt dazu, dass sie unwissentlich Teil eines Systems werden, das die Tiere ausbeutet.
Viele Touristen berichten im Nachhinein, dass sie die Fahrten mit den Eseln bedauern, nachdem sie mehr über die Bedingungen erfahren haben. „Ich dachte, es wäre eine authentische griechische Erfahrung. Aber als ich sah, wie erschöpft und leidend die Tiere wirkten, fühlte ich mich schuldig,“ sagt Anna, eine Touristin aus Deutschland, die im letzten Sommer Santorini besuchte.
Tierschutzorganisationen wie „PETA“ und die lokale Initiative „Santorini Animal Welfare Association“ (SAWA) haben in den letzten Jahren verstärkt auf das Leid der Esel aufmerksam gemacht. Durch Kampagnen und Petitionen versuchen sie, das Bewusstsein der Touristen und der griechischen Behörden zu schärfen. Sie fordern unter anderem strengere Regulierungen für die Gewichtslast, die die Esel tragen dürfen, sowie regelmäßige tierärztliche Kontrollen.
Ein wichtiger Schritt wurde bereits 2018 gemacht, als Griechenland nach öffentlichem Druck ein Gesetz verabschiedete, das vorschreibt, dass Esel keine Lasten tragen dürfen, die mehr als 100 Kilogramm wiegen – was etwa 20 Prozent des Körpergewichts eines Esels entspricht. Allerdings fehlt es oft an der Durchsetzung dieser Regel, und viele Touristen, die das Gewichtslimit überschreiten, werden weiterhin ohne Einschränkungen befördert.
Es gibt Hoffnung, dass sich die Situation für die Esel auf Santorini verbessern könnte. Immer mehr Touristen informieren sich im Vorfeld ihrer Reise über nachhaltige und tierfreundliche Alternativen. Inzwischen gibt es Unternehmen auf der Insel, die Seilbahnen und umweltfreundliche Transportmittel anbieten, die den Eseln eine Atempause verschaffen sollen.
Dennoch bleibt viel zu tun, um die jahrhundertealte Tradition in eine Form zu überführen, die den Tieren gerecht wird und zugleich die Bedürfnisse der Tourismusindustrie berücksichtigt. Es ist wichtig, dass sowohl die Behörden als auch die Touristen Verantwortung übernehmen und sich aktiv gegen die Ausbeutung der Esel einsetzen. (sk)