Ein Reich aus Fäden: Forscher entdecken gigantisches Spinnennetz in griechisch-albanischer Grenzhöhle

Ein unscheinbarer Höhleneingang an der Grenze zwischen Griechenland und Albanien hat sich als Schauplatz einer wissenschaftlichen Sensation entpuppt: In einer kaum erforschten Schwefelhöhle stieß ein internationales Forscherteam auf ein Spinnennetz von geradezu unglaublichem Ausmaß.
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos

Aktuell – Über 106 Quadratmeter erstreckt sich das gewaltige Geflecht aus feinen, silbrigen Fäden – das bislang größte bekannte Spinnennetz der Welt. Doch nicht nur die Größe fasziniert die Wissenschaftler: In dem Netz leben rund 111.000 Spinnen, die sich aus zwei Arten zusammensetzen – ein Zusammenleben, das in der Natur bislang als ausgeschlossen galt.

Die Entdeckung wurde im Fachjournal Subterranean Biology vorgestellt. Laut Studienleiter István Urák von der Sapientia-Universität im rumänischen Sfântu Gheorghe handelt es sich um ein „Netz-Mosaik“, das gemeinsam von zwei Spinnenarten errichtet wurde: der Hauswinkelspinne (Tegenaria domestica) und der Baldachinspinne (Prinerigone vagans).
Etwa 69.000 Hauswinkelspinnen und 42.000 Baldachinspinnen bilden die riesige Kolonie. Normalerweise sind beide Arten Einzelgänger, die in Kellern oder an Mauerritzen menschlicher Behausungen leben. Dass sie hier, tief unter der Erde, Seite an Seite ein gemeinsames Netzwerk errichten, erstaunt selbst erfahrene Arachnologen.

Die sogenannte Schwefelhöhle, deren Eingang auf griechischem Gebiet liegt, ist ein lebensfeindlicher Ort. Kein Sonnenstrahl dringt hinein, die Luft ist von Schwefelgeruch durchzogen, und heißes Wasser mit einer Temperatur von rund 26 Grad Celsius fließt durch die Hauptpassage.
Gerade diese Bedingungen scheinen die Spinnen anzuziehen. Das schwefelhaltige Wasser nährt mikrobielle Biofilme an den Wänden – ein Paradies für Mücken, die sich von den Mikroorganismen ernähren. Diese Mücken wiederum bilden die Hauptnahrungsquelle der Spinnenkolonie.
Über Jahrzehnte hinweg muss sich das gigantische Netz entlang der feuchten Felswände entwickelt haben – Schicht für Schicht, Generation für Generation.

Genetische Untersuchungen zeigen, dass die Spinnenpopulation in der Höhle genetisch und mikrobiologisch deutlich von ihren oberirdischen Verwandten abweicht. Die Forscher sprechen von einem möglichen Anpassungsprozess an die unterirdische Umgebung.
So weisen die Tiere beispielsweise Unterschiede im Erbgut und in der Zusammensetzung ihres Mikrobioms auf. Diese Veränderungen könnten es ihnen ermöglichen, in der schwefelreichen, nährstoffarmen Dunkelheit zu überleben.

Die Wissenschaftler hoffen, die einzigartige Kolonie künftig schützen zu können. Doch das ist nicht einfach: Die Höhle liegt in einem grenzüberschreitenden Gebiet, und der Zugang ist schwer zu kontrollieren.
Der griechische Rundfunk ERT berichtete, dass bereits Gespräche über einen möglichen Schutzstatus des Fundorts laufen. Ein unachtsamer Schritt oder zu viel menschliche Neugier könnten die empfindliche Balance des unterirdischen Ökosystems zerstören. Was die Forscher tief unter der Erde fanden, ist mehr als ein biologisches Kuriosum – es ist ein Fenster in die Anpassungsfähigkeit des Lebens selbst. In der ewigen Dunkelheit der Schwefelhöhle haben Spinnen gelernt, Grenzen zu überwinden, die sie in der freien Natur trennen. (jk)

Foto: Mario/Pixabay