Im Herzen Athens, wo der Puls der griechischen Hauptstadt am Syntagma-Platz schlägt, liegt ein Ort von stiller Würde und tiefer historischer Verwurzelung – der Nationalgarten, auf Griechisch Εθνικός Κήπος (Ethnikos Kipos).
Von HB-Redakteurin Sabrina Köhler
Reisen – Was heute ein öffentlich zugänglicher, grüner Rückzugsort ist, war einst das stille Paradies der Mächtigen, das botanische Laboratorium der Könige und das philosophische Refugium der Antike. Seine Wege sind nicht nur mit Palmen gesäumt, sondern mit der Geschichte selbst.
Die Wurzeln des Nationalgartens reichen tief in die griechische Antike. Dort, wo sich heute Spaziergänger im Schatten exotischer Bäume erholen, befand sich einst der Garten des Theophrastos von Eresos, dem bedeutenden Philosophen und Botaniker, der als Schüler und Nachfolger des Aristoteles die Grundlagen der Botanik prägte. Dieses Areal wurde ihm von Demetrios von Phaleron geschenkt – eine Geste der Wertschätzung, belegt durch einen antiken Grenzstein. Auch ein antikes Heiligtum und eine Bibliothek fanden sich auf diesem ehrwürdigen Gelände, dessen Geist bis heute in der Ruhe des Gartens spürbar ist.
Doch die heutige Gestalt des Gartens ist das Werk einer anderen Ära: Im Jahr 1838 gab Königin Amalie, Gemahlin des ersten Königs von Griechenland, Otto von Bayern, den Auftrag zur Anlage eines königlichen Gartens, der als privates botanisches Refugium und wissenschaftlicher Pflanzgarten dienen sollte. Der deutsche Agronom Friedrich Schmidt wurde mit der Planung betraut. Inmitten eines jungen, sich neu definierenden griechischen Staates entstand ein Garten nach europäischen Vorbildern, zugleich aber verwoben mit mediterraner Flora und antikem Erbe. Zwischen 1838 und 1840 wurde das Areal gestaltet, bepflanzt – und wieder neu bepflanzt, denn nicht jede ausländische Pflanze vermochte dem Attischen Klima standzuhalten.
Amalie selbst griff zur Kelle, pflanzte unter anderem die 12 Palmen, die heute noch in Reih und Glied entlang der Straße stehen, die inzwischen ihren Namen trägt. In diesen Gesten zeigt sich mehr als königliche Vorliebe für Botanik – es ist eine bewusste Verbindung mit dem Boden des jungen Griechenlands, eine europäische Annäherung an griechische Identität durch Natur und Gestaltung.
Die Geschichte des Gartens bleibt eng verwoben mit Personen, deren Lebenswerke über Griechenland hinaus strahlen. Der Botaniker Carl Fraas, später Direktor Theodor von Heldreich und sein Nachfolger Spiridon Miliarakis erweiterten das Projekt. Die botanische Forschung brachte auch internationale Verbindungen hervor: Die sogenannte Walzengurke von Athen wurde nach Deutschland verschickt, wo Friedrich Adolph Haage sie weiterkultivierte – nicht nur als botanische Rarität, sondern als Symbol des kulturellen Austauschs zwischen Griechenland und Europa.
Der Garten war stets mehr als bloße Zierde. Bei den Bauarbeiten wurden archäologische Kostbarkeiten entdeckt: ein römisches Mosaik, eine antike Wasserleitung, die bis heute den Park versorgt. Die Vergangenheit liegt hier buchstäblich unter den Füßen der Gegenwart – jeder Schritt ein Dialog zwischen den Jahrhunderten.
Ein dramatischer Wendepunkt markierte das Jahr 1920: König Alexander erlitt im Garten einen Affenbiss, dessen infektiöse Folgen zu seinem frühen Tod führten. In der Folge verlor der Garten seine exklusive königliche Bestimmung. 1923 wurde er für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht, 1974 – mit dem Ende der griechischen Monarchie – wurde aus dem königlichen der Nationalgarten. Ein Ort für alle, geöffnet „von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“.
Heute beherbergt der 15,5 Hektar große Park nicht nur seltene Pflanzenarten, sondern auch ein kleines botanisches Museum, eine Kinderbibliothek, ein Café sowie Erinnerungen in Form von Büsten griechischer Persönlichkeiten wie dem Dichter Dionysios Solomos und dem Bankier Jean Gabriel Eynard. Der Tiergarten wurde in den 1990er Jahren stark verkleinert, doch die grüne Seele des Gartens blieb bewahrt. Veranstaltungen wie das Athens Gardens Festival zeigen, dass dieses historische Areal lebt – in der Gemeinschaft, in der Kunst, im Alltag.
Der Nationalgarten ist ein lebendiges Archiv Griechenlands, ein stilles Zeugnis seiner politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Entwicklung. Zwischen antiken Steinen und schattigen Pfaden, inmitten von Palmen, die Amalie pflanzte, spiegelt sich das Werden einer Nation – von der Philosophie der Antike bis zur Moderne eines europäischen Staates. (sk)
