Zwischen Marmor und Widerstand – Das Ivan Hadzhimishev Haus als Symbol gelebter Utopie

Thessaloniki – Von der Residenz eines Großgrundbesitzers zum Herz eines sozialen Experiments: Das Ivan Hadzhimishev Haus erzählt eine Geschichte voller Umbrüche, Brüche und Visionen.
Von HB-Redakteur Jorgos Kontos

Kunst & Kultur – Im Süden Thessalonikis, dort wo der Lärm der Stadt in das Echo vergangener Jahrhunderte übergeht, steht ein Gebäude, das mehr ist als nur ein architektonisches Denkmal. Das prachtvolle neoklassizistische Haus an der Ecke Vasileos Georgiou und Bizani-Straße trägt die Spuren einer wechselvollen Geschichte – und den Geist einer Bewegung, die nicht vergessen will, was es bedeutet, Raum zu erkämpfen.

Erbaut im Jahr 1890 nach den Plänen des französischen Architekten Frédéric Charnot für den bulgarischen Großgrundbesitzer Ivan Hadzhimishev, war das Haus einst Ausdruck von Reichtum, Einfluss und europäischem Baustilbewusstsein. Symmetrie, ionische Kapitelle, kunstvolle Marmorbalkone und ein imposanter Fassadenvorsprung gaben der Villa ihren unverwechselbaren Charakter. Doch nach Hadzhimishevs Tod und dem politischen Umbruch in der Region begann eine lange Reise institutioneller Nutzung, Entfremdung und schließlich: Rückeroberung.

In den folgenden Jahrzehnten wandelte sich das Haus von einem diplomatischen Sitz (US-Konsulat), zu einer Schule, dann wieder zu Behördenräumen – bis hin zur Nutzung durch die Kirche und der zeitweisen Einrichtung einer Grundschule. Immer wieder wurde es geschlossen, freigegeben, neu vermietet, umgewidmet. Besonders bezeichnend ist der Moment, als dieselbe kirchliche Institution das Gebäude erst als schulgeeignet und kurz darauf als einsturzgefährdet deklarierte – ein bürokratischer Tanz, der den Interessen des Viertels widersprach.

Am 5. Juni 2010 veränderte sich der Kurs des Hauses erneut – diesmal nicht durch eine staatliche Verfügung, sondern durch eine kollektive Entscheidung von unten. Aktivist:innen, Nachbar:innen, Studierende und Engagierte besetzten das leerstehende Gebäude und erklärten es zum „Freien Sozialen Raum Scholeio“. Ein offener, antiautoritärer Ort, getragen von Konsens, Mitbestimmung und Solidarität. Wo einst die Schulbank stand, wird heute diskutiert, geträumt, geplant – gemeinsam, ohne Hierarchien.

Das Projekt bewahrte das Gebäude nicht nur vor dem Verfall, sondern hauchte ihm neues Leben ein. In Eigenregie wurden Reparaturen durchgeführt, Veranstaltungen organisiert und die Türen für alle geöffnet, die sich beteiligen wollten. Es entstand ein Ort, an dem politische Bildung, Kunst, Nachbarschaftshilfe und kultureller Austausch aufeinandertreffen.

Doch dieser Freiraum ist nicht konfliktfrei. Im März 2021 wurde das Scholeio Ziel eines rechtsextremen Angriffs: Ein Mob von etwa 100 Personen bewarf das Gebäude mit Steinen. Eine junge Frau wurde dabei schwer verletzt. Der Angriff zeigt, wie polarisiert die gesellschaftlichen Fronten auch in Thessaloniki verlaufen – und wie sehr Freiräume dieser Art ins Visier geraten, sobald sie soziale Utopien Wirklichkeit werden lassen.

Trotz aller Widrigkeiten steht das Haus – fest verankert im Stein wie in der Stadtgesellschaft. Als Symbol für ein anderes Zusammenleben. Als Mahnmal für die Versäumnisse der Institutionen. Und als Zeugnis der Kraft, die entsteht, wenn Menschen sich einen Ort zurückholen, den sie nie hätten verlieren dürfen. (jk)

Foto: Hellas-Bote

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