„Wenn die Götter die Blätter färben“ – Herbstanfang im Zeichen griechischer Mythen

Wenn sich das goldene Licht sanft über die Tempelruinen der Akropolis legt und die Olivenbäume in der milden Brise rauschen, kündigt sich in Griechenland der Herbst auf beinahe mythische Weise an.
Von HB-Redakteurin Maria Georgiou

Aktuell – In kaum einem anderen Land scheint der Wechsel der Jahreszeiten so eng mit uralten Erzählungen und symbolischer Bedeutung verwoben zu sein wie hier, wo Götter einst über den Wandel der Natur herrschten. Der Herbst – oder „Phthinoporó“ (Φθινόπωρο) – ist mehr als nur das Ende des Sommers. Er ist ein Übergang, ein Innehalten zwischen Fülle und Vergänglichkeit. In den mythischen Gefilden Griechenlands erinnert dieser Wandel an die Geschichte von Persephone, der Tochter der Erdgöttin Demeter, die jeden Herbst in die Unterwelt zurückkehrt, um an der Seite ihres Gatten Hades zu verweilen.

Dieser antike Mythos erklärt nicht nur den Kreislauf der Jahreszeiten, sondern verleiht dem herbstlichen Rückzug der Natur eine beinahe heilige Dimension. Während Demeter um ihre Tochter trauert, zieht sich das Leben zurück, das Grün weicht bronzenem Rot und erdigem Gold – ein göttlicher Akt der Melancholie.

Auch heute noch spüren die Menschen in Griechenland die tiefere Bedeutung dieser Zeit. Auf den Märkten Athens leuchten saftige Granatäpfel – ein weiteres Symbol Persephones, das seit Jahrtausenden für Leben, Tod und Wiedergeburt steht. In Epidaurus und Delphi werden klassische Dramen unter freiem Himmel gespielt, in denen die Naturgewalten nicht nur Bühnenbild, sondern handelnde Kraft sind.

In den Bergdörfern von Euböa oder dem Pindos-Gebirge beginnt die Traubenlese, das Ouzo-Destillieren und das Sammeln von Kastanien – Rituale, die den Wechsel der Zeit ehren. Während Touristen noch an den sonnenverwöhnten Küsten Kreta verweilen, bereitet sich das Land innerlich auf die stillere Jahreszeit vor – und folgt damit dem Rhythmus, den die alten Mythen vorgegeben haben.

Künstler, Schriftsteller und Philosophen haben den griechischen Herbst immer wieder als Zeit der Inspiration erlebt. Der Dichter Giorgos Seferis schrieb einst: „Der Herbst ist ein Versprechen, das die Erde dem Licht macht.“ In Museen und Galerien entstehen derzeit Ausstellungen, die den „Herbst der Antike“ thematisieren – ein Spiegelbild der inneren Einkehr, aber auch der Schönheit im Verfall.

So wird der Herbst in Griechenland nicht bloß als klimatisches Ereignis erlebt, sondern als Rückbesinnung – auf die Natur, die Geschichten der Ahnen, auf die zyklische Kraft des Lebens. Wenn die ersten kühlen Winde durch die Agora streichen und die Gassen Plakas in sanftem Schatten liegen, ahnt man: Der Herbst ist kein Ende. Er ist ein leiser Anfang. (mg)

Foto: christelleboninn/Pixabay

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